Tag 12 Forschungsauftrag – Urbaner Wandel in Lissabon – Exklusion in Mouraria

Mouraria – vom Sorgenkind zum Musterknaben? Stadterneuerungsprojekte im Fokus

Mouraria, das einstige ‘Maurenviertel’ Lissabons, seit jeher Herberge von Migranten verschiedenster Herkunft, galt lange als marginalisiert und Herd von Kriminalität und Zwielichtigkeit (Muselaers 2017). Seit 2008 haben diverse regierungspolitisch initiierte Stadterneuerungsprojekte das Anliegen, den Stadtteil aufzuwerten.

Übergeordnetes Ziel dieser Politiken ist die Sanierung und Restaurierung zentraler (weil repräsentativer) Straßenzüge, die Integration eines kreativwirtschaftlichen Innovationszentrums und die gezielte Vermarktung des Quartiers. Zudem wurde das Mietrecht des Bezirks insofern liberalisiert, als dass die wirksame Mietpreisbremse sowie der einst hohe Mieterschutz ausgehebelt wurden. Darüber hinaus wurden Anreizprogramme für ausländische Investoren geschaffen.

Dieser drastische, bewusst herbeigeführte Politikwechsel hat zweierlei zur Folge: Einerseits werden private Investitionen auf dem Mietwohnungsmarkt gefördert, andererseits rückt Mouraria stark in den Fokus der Tourismusbranche. Insbesondere die nunmehr fast zügellose Vermietung von Wohnungen für Reisende (etwa über AirBnB) prägt das gegenwärtige Stadtbild Mourarias zunehmend. Diese und weitere Formen der fortwährenden ‘Touristifizierung’ wurden in der Mini-Feldforschung vor Ort adressiert.

 

Touristifizierung…

„beschreibt einen Prozess, durch den bis dahin touristisch wenig attraktive Stadtteile und Orte von Touristen entdeckt und für sie erschlossen werden. Es etablieren sich monostrukturelle Ökonomien, die den zahlungskräftigen Touristen alles bieten, was sie brauchen – Cafés, Bars, Supermärkte, Souvenirshops –, aber die Bedürfnisse der Anwohner vernachlässigen […]. Die Geschichte der Stadt wird dabei ebenso vermarktet wie eine breit gefächerte Kulturlandschaft mit ihren Szenevierteln.” (Borries 2011: 161)

 

Touristifizierung in Mouraria: Besonderheiten der Entwicklung

Das Ziel der Mini-Feldforschung in Mouraria war, Touristifizierungsprozesse und deren Ausdrucksformen zu identifizieren. Außerdem sollte der Aspekt der räumlichen Differenzierung dieser Entwicklung berücksichtigt werden. Anschließend standen aktuelle sowie zukünftige Tendenzen zur Diskussion. Im Folgenden werden die Ergebnisse in einem kurzen Überblick präsentiert.

Kartierung des östlichen Teils

Erstens gilt festzustellen, dass die Ausdrucksformen der Touristifizierung in Mouraria sichtbar sind. Es geht darüber hinaus nicht nur um deren Sichtbarkeit, sie sind ebenfalls zu hören und zu spüren. Vom frühen Vormittag bis spät in die Nacht sind die Straßen, Gassen, Cafès, Tuktuks, etc. mit Menschen gesäumt, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise die touristische Attraktivität von Mouraria konsumieren. Sie kommen aus aller Welt, sprechen in vielen Sprachen, differenzieren sich nach ihrem sozialen Status und entsprechenden Ansprüchen. Klappernde Räder oder Koffer auf dem Kopfsteinpflaster sind die akustisch auffallendsten Ausdrucksformen der Touristifizierung in Mouraria.  Die Präsenz der Touristen im Stadtteil ist der Motor für weitere Prozesse, die ebenfalls zu sehen sind. Das Gastronomieangebot erfährt durch die Ausrichtung auf die Wünsche der Touristen eine zunehmende Homogenisierung. Auch im Einzelhandel (u.a. Souvenirläden) ist vermehrt eine klare Orientierung an Kaufgewohnheiten der Touristen festzustellen. Das manifestiert sich im Angebot (traditionelle Korkwaren, Keramik, Kunstwerken, etc.) und entsprechenden Preisen. Der Immobilienmarkt ist sichtbar im Umbruch, einzelne Häuser sowie ganze Straßenblöcke werden umgebaut, renoviert, modernisiert. All das, um sowohl bereits anwesenden Stadtteilgästen als auch denjenigen, die in Zukunft kommen, eine Unterkunft bieten zu können.

 

Zweitens sind räumliche Disparitäten im Touristifizierungsprozess Mourarias zu erkennen. Dies wurde durch die Kartierung der Ausdrucksformen in drei Teilen des Quartiers veranschaulicht (Abb.1). So kann man beispielsweise im südlichen Teil Mourarias (Largo da Rosa, Rua Marquès Ponta da Lima, Largo dos Trigueiros) eine räumliche Verdichtung unterschiedlicher Aktivitäten (Gastronomie, Handel, Kultur, Sightseeing)  beobachten, die in der Regel miteinander geknüpft sind. Der östliche Teil Mourarias (Rua dos Lagares) erlebt im Moment einen großen Wandel in der Immobilienstrukur, es werden große Wohnflächen renoviert und später als Appartaments kurzfristig an Urlauber vermietet. Diese Entwicklung wurde auch auf dem Platz Intendente im Gespräch mit einem Demonstranten (mehr zur Demonstration siehe Infokasten) zum Ausdruck gebracht. Ihm zufolge würden kürzlich alle Immobilien um den Platz herum an zumeist ausländische Investoren verkauft. Im Gegensatz dazu wurden auch Gebietseinheiten vorgefunden und entsprechend kartiert, in denen sich die Touristifizierung weniger intensiv vollzieht (Mouraria de Baixo, Rua de Benformoso).

 

Während der Begehung des Stadtteils wird zunehmend deutlich, dass es zahlreiche Versuche gibt, „Mouraria“ als Marke zu nutzen. Identitätsstiftende Elemente des Viertels werden dabei aktiv und zielgerichtet zur Etablierung eines positiven Images genutzt. Somit werden diese zur Marketingstrategie für das Viertel. Ein zentrales Element scheint dabei der Fado darzustellen, der ein bedeutsamer identitätsstiftender Aspekt für die Bewohner von Mouraria ist. Zunehmend wird dieser aber auch von Nicht-Einheimischen genutzt (Pereira Lopes 2017).

Ein Element der Nutzung des Fado als Marke für das Viertel stellt das ehemalige Wohnhaus von Maria Severa, einst Prostituierte und erster Fadostar, dar, da dieses aktuell als Restaurant und Bar mit dem Namen „Maria da Mouraria“ (http://mariadamouraria.pt/en/) genutzt wird. Das öffentlichkeitswirksam aufgehübschte Gebäude sticht aus den umliegenden Häusern klar hervor und ist so insbesondere für Touristen ein starker Anziehun

Neben der allgegenwärtigen Präsenz des Fado in Mouraria sind an zahlreichen Restaurants und Bars Schilder mit der Aufschrift „Rota das taquinhas e restaurantes da Mouraria“ zu sehen (Abb. 2). Diese können möglicherweise als Teil einer Marketingstrategie angesehen werden, indem sie eine einheitliche Quartiersidentität, also eine Eigenlogik, scheinbar zum Ausdruck bringen. Auf diese Weise werden die beschilderten Lokalitäten zu einer Einheit verbunden und symbolisieren ein hippes, modernes und sicheres Viertel.

Es scheint also, dass der Fado zusammen mit anderen quartierseigenen, identitätsstiftenden Elementen aktiv als zentraler Bestandteil einer Marketingstrategie genutzt wird. Zudem kann der Fado als wesentliches Element der Umdeutung, des Imagewechsels und der De-Mystifizierung des Viertels gedeutet werden, da dieser als immanenter Bestandteil des Stadtteils gilt, international anerkannt ist und demnach einen hohen positiven Stellenwert einnimmt.

Rota das taquinhas e restaurantes da Mouraria

Der Auseinandersetzung mit dem Prozess der Touristifizierung in Mouraria muss das  entstandene Spannungsfeld wenigstens reflektieren. Die Liberalisierung des Wohnungsmarktes in Lissabon hat die Rechte der Mieter nicht gestärkt. Als Resultat werden die Mietverträge oft kurzfristig gekündigt, eine Mietvertragsverlängerung ohne Mieterhöhung ist so gut wie unmöglich geworden. Die Miethöhe gilt generell seit Neuem als Exklusionsfaktor. In besonders schweren und konflikthaften Situationen kommt es zum “sozialen Terrorismus”, in dem beispielsweise einzelne Wohnungen oder sogar Häuser vom Wasser- bzw. Heizungssystem abgeschaltet werden. (Abb. 3) Infolge der Vermarktung der Ortsidentität profitiert die autochthone Bevölkerung kaum. Die wohl zahlreichen neuen Jobs sind oft prekär und nicht stabil. Das oft erzwungene bzw. künstlich geschaffene Zusammenleben mit Touristen, also mit Menschen, die keinerlei Bezüge zum jeweiligen Ort haben, trägt keineswegs zum sozialen Zusammenhalt bei.

Wünsche an den Weihnachtsmann

 

Die Demonstration

Die Folgen der ‘Touristifizierung’ sind sicht- und spürbar, die Auswirkungen auf die Bewohner immens. So fand am 22.9.2018 eine Demonstration in Mouraria statt, die sich kämpferisch gegenüber den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt und den daraus resultierenden Verdrängungsmechanismen positionierte. Ein Auszug aus dem Manifest der Initiatoren:

“The current policies have failed to address housing problems. We demand a dignified house for everybody. No more exclusion and precariousness! No more real estate speculation! Housing is not a buisness. For our houses and for our lives, we fight!”

Teilnehmerin der Demonstration (Alojamento Local = Esvaziamento Fatal/                             Ferienwohnungen = fatale Evakuierung)

Demonstrationszug (Pelas Nossas Vidas/Für unser Leben)

 

Persönliche Stellungnahme zum Touristifizierungsprozess in Mouraria

Die Touristifizierung in Mouraria ist innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit erschreckend weit fortgeschritten. Die Verdrängung der autochthonen Bevölkerung, die unverhohlene Instrumentalisierung der Quartiersidentität, die leichtfertige Aufgabe gewachsener sozialräumlicher Strukturen zu Gunsten touristischer Infrastruktur. Die Aussicht auf das schnelle Geld durch einen regelrechten Tourismusboom veranlasste die Regierung dazu, sämtliche Schleusen der Vermarktung zu öffnen – ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung und eine nachhaltige Stadtentwicklung. Dass sich die Bevölkerung Mourarias über Proteste zur Wehr setzt, ist genauso verständlich wie notwendig. Denn über diese Plattformen werden elementare Fragen städtischer Verfügung und Teilhabe erst einmal klar und (über)deutlich artikuliert. ‚Pelas nossas vidas‘ – ‚Für unser Leben‘ schallt es an dem besagten 22. September durch die Lüfte, riesige Banner untermauern den Slogan eindrucksvoll. Um nicht weniger geht es hier – um das Leben und Zusammenleben der städtischen Bevölkerung. Berichtet wird uns von ganzen Nachbarschaften, die sich aufgrund der Verdrängung durch Ferienwohnungen auflösen. Die Wut richtet sich jedoch weniger gegen die Touristen selber, die sich den angeprangerten Wohnraum ja tagtäglich aneignen. Vielmehr sind die politischen Entscheider im Fokus der Kritik. Die politischen Entscheider, die jedoch, so beschleicht uns das Gefühl, über den Silhouetten der Stadt und ihren Bürgern schweben – denn zu sehen scheinen sie weder das eine noch das andere.