Im Herbst 2021 ging die große Exkursion der Studiengänge Geographie und Humangeographie nach Frankfurt am Main – in die vielleicht kosmopolitischste Stadt Deutschlands, auch Mainhattan genannt. Nachfolgend wird die Exkursion von den Studierenden anhand der von ihnen durchgeführten Mini-Forschungen vorgestellt.
Betreuer*innen | Prof. Dr. Stefan Ouma |
Teilnehmer*innen | Studiengang B.Sc. Geographie: Linda Meier Studiengang M.Sc. Humangeographie: Mounir El Bouamraoui, Maike Hartmann, Lukas König, Paul Marques Lindner, Nils B. Ludwig, Jasmine Maurus, Amelie Roder, Philipp Wegner |
Kontakt | LS.WiGeo@uni-bayreuth.de |
Download | Exkursionsreader Frankfurt am Main |
Zu jedem Forschungsthema gibt es Basiswissen und Grundinformationen, die bereits zuvor erarbeitet und recherchiert wurden. Durch deskriptive Betrachtungen, beispielsweise empirische Erfahrungen im Feld, geführte Interviews und Messungen wurden zu den verschiedenen Themen Mini-Forschungen durchgeführt.
Bild: Hammering Man (Peter Lindner)
Autor: Stefan Ouma
Frankfurt ist Knotenpunkt globaler Güter-, Finanz-, Wissens- und Migrationsbewegungen. Die gebaute Umwelt der Stadt, aber auch ihre Arbeits- und Wohnungsmärkte reflektieren diese globale Verwobenheit. Die Stellung von Frankfurt als zentraler Ort im globalen Raum der Ströme ist aber keineswegs natürlich, sondern Ausdruck gezielter politischer Bestrebungen, die die Stadt seit den 1960er Jahren zu einem bedeutenden Finanzzentrum machten.
Gleichzeitig ist Frankfurt aber auch weiter‐ hin Standort vieler Industriebetriebe und die Industrie erlebt mit dem „Masterplan Industrie“ jüngst ein politisches Comeback. Frankfurt ist aber auch eine Stadt voller Gegensätze. Hier treffen nicht nur die Mauern der Industriehallen auf die funkelnden Türme der internationalen Banken, sondern die Metropole weist auch große sozialräumliche Ungleichheiten auf. Mit der Globalisierung von Wohnungsmärkten und der zunehmenden Flucht von Kapital in „Betongold“ ist es in vielen Stadtteilen zu Verdrängungsprozessen gekommen. Befeuert wurden diese Prozesse zudem durch eine marktorientierte Stadtentwicklungspolitik, in der spektakuläre Großprojekte und exklusiver Wohnungsbau eine zentrale Rolle spielen.
Die „Global City“ Frankfurt stützt sich zudem auf ein Hinterland bzw. einen „Unterbelly“, die oft unsichtbar bleiben. Zum einen gibt es zahlreiche Kommunen im Umland, in denen wichtige Back- und Main Office-Funktionen von Unternehmen angesiedelt sind und die urbane Eliten als exklusive Rückzugsräume nutzen. Einige dieser Kommunen, allen voran Eschborn, stehen dabei auch in einem ausgesprochenen Konkurrenzverhältnis zu Frankfurt, was Unternehmensansiedlungen betrifft. Anderseits sorgen meist migrantische, prekarisierte und zum Teil auch illegalisierte Arbeiter:innen am Rande der Gesellschaft dafür, dass die „Global City“ überhaupt erst so funktioniert, wie sie das tut.
Vom 15.09. bis 24.09.2021 spürten zehn Studierende der Geographie an der Universität Bayreuth diesen Themen im Rahmen eines 10-tägigen Geländepraktikums unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Ouma nach. Im Anschluss daran entstanden sogenannte „Mini- Forschungen“, welche auf den vor Ort durchgeführten Recherchen und Befragungen basieren. Dieser Reader beinhaltet die vor Durchführung der Exkursion recherchierten Themenfelder sowie eine Übersicht der dann bearbeiteten Mini-Forschungen.
Bild: Rechenzentrum in Frankfurt-Rödelheim (Lukas König)
Autoren: Lukas König, Philipp Wegner
Industrie 4.0 bedeutet nach Huber und Kaiser, dass „in der Produktion Maschinen, Lagersysteme und Betriebsmittel eigenständig Informationen austauschen, Aktionen auslösen und sich gegenseitig selbstständig steuern.“ (Hubert und Kaiser 2017, S. 18).
Frankfurts Industrie zeichnet sich durch eine große Strukturvielfalt aus. Das Branchenspektrum reicht von der chemischen und pharmazeutischen Industrie über den Fahrzeug- und Maschinenbau, der Elektro- und Elektronikindustrie bis hin zum Nahrungsmittelgewerbe (Rentmeister 2021).
Das verarbeitende Gewerbe ist seit der Finanzkrise 2008/2009 stark expandiert (Eickelpasch et al. 2017). In der gesamten Region wird hierfür als Anreiz mit niedrigen Gewerbesteuersätzen für Frankfurt geworben (Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main 2021). Zudem hat sich Frankfurt mit seinem weltweit größtem Internet-Knoten DE-CIX als die Internethauptstadt Europas etabliert (Wacket 2020). Unter DE-CIX sind 1.000 Netze, vor allem aus dem europäischen Raum, zusammengeschaltet, was eine hohe Bandbreite und Kontrolle über den Verlauf des Datenverkehrs garantiert und vielen Unternehmen spätestens seit Corona enorm wichtig ist.
Frankfurt zählt knapp 60 Co-location-Rechenzentren, in denen ein Betreiber mehreren Kunden Rechenzentrumsfläche anbietet. In den riesigen Hallen stehen zahlreiche Rechner, die die Daten der Unternehmen verarbeiten. Für die Bearbeitung müssen die Rechner gut gekühlt sein und auch insgesamt fällt der Stromverbrauch hier sehr hoch aus, was ein nachhaltiges Wirtschaften in diesem Bereich schwer macht.
In ihrer Mini-Forschung gehen Lukas König und Philipp Wegner der Frage nach, inwiefern die Rechenzentren zu einer nachhaltigen Entwicklung der Stadt Frankfurt im ökologischen, ökonomischen und sozialen Sinne beitragen.
Mehr dazu: Mini-Forschung Industrie 4.0
Bild: Zeichnung einer Frankfurter Baustelle an der U-Bahn-Haltestelle Konstablerwache (Paul Marques Lindner)
Autor:innen: Maike Hartmann, Paul Marques Lindner
Prekäre Arbeit oder prekäre Beschäftigung sind „Beschäftigungsverhältnisse, die besonders geringen Lohn, keine soziale Absicherung und eine ungewisse Zukunft für den Beschäftigten mit sich bringen“ (NGG Gewerkschaft 2021)
Der in den 1970er Jahren beginnende Aufstieg Frankfurts zur bedeutenden Weltstadt ging einerseits mit einem hohen Verlust von Arbeitsplätzen im industriellen Sektor einher, führte jedoch gleichzeitig zu einem hohen Bedarf an billigen Arbeitskräften für die Durchführung der sogenannten bad jobs im Dienstleistungssektor (Ronneberger 2012, S. 58). Dies hatte zur Folge, dass insbesondere Migrant:innen und illegalisierte Zugewanderte in Anstellungsverhältnisse gerieten, die einen niedrigen Lebensstandard ebenso wie eine „strukturelle Benachteiligung im Verhältnis zur deutschen Mehrheitsbevölkerung“ (ebd.) nach sich zogen. Dieser Trend setzt sich laut dem Frankfurter Integrations- und Diversitätsmonitoring 2017 auch heutzutage noch fort, wonach seit dem Jahr 2000 zum einen atypische bzw. prekäre Anstellungsverhältnisse zugenommen oder sich auf ähnlichem Niveau eingependelt haben. Diesem kann entnommen werden, dass die Zahl der prekär beschäftigten Migrant:innen im jeweils geschlechtsspezifischen Vergleich zu Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit deutlich höher ausfällt.
Seit den 1970ern ist die Frankfurter Stadtpolitik vermehrt auf eine Kulturalisierung des Stadtraums gerichtet, um eine international orientierte metropolitane Urbanität zu schaffen. Dabei stellt sich die Frage, welche Teilhabe unterschiedliche Bevölkerungsgruppen an der „Global City“ haben, etwa an den städtebaulichen Fantasien und den städtischen Politiken, und wie sie ihre Interessen in der Stadt vertreten. Die repräsentativen „Flagship“-Bauten (Diesselhorst et al. 2018: 140) beispielsweise sind umkämpfte Orte, an denen regelmäßig Proteste stattfinden, z.B. von der Occupy- oder der Fridays-for-Futures-Bewegung. Gleichzeitig zeigt sich an ihnen eine oft vernachlässigte internationale Vernetzung Frankfurts, in der Form einer migrantischen städtischen Unterschicht an prekär Beschäftigten verschiedener Sektoren z. B. Baugewerbe, Gebäudereinigung, Transport), welche die prestigeträchtigen Glanzbauten und die transnationale Finanzwelt „Mainhattans“ am Leben erhalten.
In ihrer Mini-Forschung begeben sich Maike Hartmann und Paul Marques Lindner ins Frankfurter Ostend, setzen sich mit der prekären Wohn- und Arbeitssituation osteuropäischer Bauarbeiter auseinander und fragen, welche Faktoren diese Verhältnisse aufrechterhalten sowie was die Folgen dieses Prekariats für die Integration und gesellschaftliche Teilhabe der Migranten nach sich zieht.
Bild: Protest gegen Gentrifizierung im Nordend (Stefan Ouma)
Autoren: Mounir El Bouamraoui, Nils B. Ludwig
Der Begriff der Armut lässt sich vielfältig interpretieren. Oftmals wird er jedoch gleichgesetzt mit Knappheit. Diese wird gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), am Einkommen pro Kopf oder an der sozialen Lage eines Menschen bzw. einer Familie. Doch lässt sich Armut nur am Geld messen? Bei der Armutsbetrachtung darf nicht nur die monetäre Armut gemessen werden.
Im Zusammenhang mit Verdrängung werden in wohnungspolitischen Fragen oft Gentrifizierungs-, also Aufwertungsprozesse genannt. Verdrängung meint den ungewollten Auszug eines Haushaltes aus einer Wohneinheit, beispielsweise aufgrund steigender Mieten (Schipper und Wiegand 2015, S. 7–8).
Betrachtet man vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Definitionen von Armut die Stadt Frankfurt a. M., werden hier unterschiedliche Verteilungsmuster deutlich. Dabei können verschiedene Indikatoren für Armut herbeigezogen werden. Mit am aussagekräftigsten ist dabei der Indikator der „existenzsichernden Mindestleistungen“. Personen, die hierauf angewiesen sind, leben vor allem am westlichen und östlichen Rand der Stadt. Diese Verteilung deckt sich auch mit der der Arbeitslosen. Eine noch genauere Differenzierung der (un)sozialen Verteilung von Kapitalien innerhalb der Stadt bietet die Betrachtung einzelner Stadtteile. Dies ist dank des kleinräumigen Sozialdatenatlas der Stadt Frankfurt a. M. möglich. Beispielhaft untersuchen wir das Frankfurter Bahnhofsviertel. Das Bahnhofsviertel, welches oftmals für Kriminalität und Drogen steht, ist besonders geprägt durch eine hohe Wanderungsrate. Außerdem ist die Anzahl der Alleinlebenden überdurchschnittlich hoch. Des Weiteren hat das Quartier einen hohen Anteil von Personen, die auf existenzsichernde Mindestleistungen angewiesen sind. Aufgrund der noch zusätzlich überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote spricht Bolz (2017, S. 12) hier von einem sozial schwachen Stadtteil.
In ihrer Mini-Forschung untersuchuen Mounir El Bouamraoui und Nils B. Ludwig die Verdrängungsprozesse unterer und mittlerer Einkommensschichten im Frankfurter Bahnhofsviertel sowie fragen, inwiefern von einer fortschreitenden Gentrifizierung gesprochen werden kann.
Mehr dazu: Mini-Forschung Armut & Verdrängung
Bild: Protest „Grüne Lunge bleibt!“ (Jasmine Maurus)
Autorinnen: Jasmine Maurus, Amelie Roder
Ein Kaltluftentstehungsgebiet umfasst üblicherweise grünes Freiland wie beispielsweise Wiesen, Felder oder auch Gartenland. Diese physikalischen Bedingungen führen zu einer Abkühlung der Oberfläche über diesen Gebieten, insbesondere nachts. Zu den optimalen Bedingungen für dessen Entstehung zählt unter anderem auch die Wetterlage, denn bei geringen Windgeschwindigkeiten und in klaren Nächten ist die Produktion der Kaltluft in der oberflächennahen Luftschicht am effektivsten.
Für eine Stadt sind Kaltluftschneisen wichtig für das Klima. Denn im Vergleich zum Umland bildet sich in einer Stadt extreme Hitze, die je nach Bebauung nicht abfließen kann. Zur Erhaltung des Stadtklimas müssen die relevanten Kaltluftentstehungsgebiete und Kaltluftschneisen gesichert, Abflusswege für Kaltluft freigehalten und die Renaturierung von Gewässern sowie die Schaffung von Grünflächen und die Kaltluftschneisenwirkung optimiert werden.
Die Stadt Frankfurt am Main weist eine Beckenlage – umgeben von Taunus und Wetterau – auf, was zu niedrigen Windgeschwindigkeiten und relativ hohen Lufttemperaturen führt. Der Luftaustausch zwischen Stadt und Umland ist daher gering. Um dem entgegenzuwirken, wurde für Frankfurt ein sogenanntes Speichen- und Strahlenkonzept entworfen. So soll der Frankfurter Grüngürtel bis in die Innenstadt wirken. Dieser Grüngürtel wurde 1991 als grüner Freiraum mit einer Ausdehnung von 80km² geschaffen, der ein Drittel des Frankfurter Stadtgebietes einnimmt. Die „grüne Lunge“ dient als Naherholungsgebiet und Landschaftsschutzgebiet und umfasst auch den Frankfurter Stadtwald (Dellmann und Wiederstein 2007, S. 4, 8). Durch die „Nicht-Bebauung“ dieses Gebietes entsteht ein für Frankfurt wichtiger Freiraum für die Erzeugung von Kaltluft, da die Luft in die nahe gelegenen Stadtgebiete einströmen kann (Umweltforum Rhein-Main e.V. o.J.).
In ihrer Mini-Forschung beforschen Jasmine Maurus und Amelie Roder die politischen, ökonomischen und sozialen Konflikte rund um das – zunächst geplante, aktuell im Baustopp befindliche – Bauprojekt der Günthersburghöfe auf dem Gelände der „Grünen Lunge“ im Stadtteil Bornheim.
Bild: Bürotürme im Gewerbegebiet Eschborn Süd (Mounir El Bouamraoui)
Autorin: Linda Meier
„Interkommunale Kooperation bezeichnet die Zusammenarbeit von kommunalen territorialen Gebietskörperschaften, also Gemeinden, kreisangehörige oder kreisfreie Städte sowie Kreise, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen oder Ziele. Sie kann sich nachbarschaftsbezogen, stadt-umland-geprägt oder regionalorientiert entwickeln.“ (Gawron 2009, S. 6)
Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) als Kooperation zwischen den einzelnen Kommunen einer Region stellt eine erfolgsversprechende Antwort auf langjährige gravierende Herausforderungen der Kommunalfinanzen, den demographischen Wandel und das Konkurrenzverhältnis zwischen Kommunen und Städten in Metropolregionen dar.
Entgegen einer Kooperation bietet Eschborn im Raum Frankfurt am Main ein besonderes Gegenbeispiel, es versinnbildlicht interkommunale Konkurrenz. Kaum einer anderen Kommune in der Region Frankfurt Rhein/Main geht es verhältnismäßig so gut wie ihr. Vor allem auch durch die Nähe zur Metropole. Dennoch scheint Eschborn neben den gegebenen Standortfaktoren eine besonders gute Strategie zu verfolgen, denn weit nicht jede angrenzende Kommune oder Stadt ist finanziell so erfolgreich. Zum einen hatte Eschborn im Durchschnitt für die Jahre 2015-2017 die höchsten Steuereinnahmen je Einwohner:in im Verbandsgebiet FRM zu verbuchen, gleichzeitig aber auch die niedrigste Summe aus Schulden und Kassenkrediten 2017.
Was die einen als ewigen Machtkampf, Binnenwettbewerb und Partikularegoismus der Stadt Eschborn (vor allem gegen den direkten Nachbarn Frankfurt) beschreiben, ist für Eschborn in Kombination mit der guten Anbindung zur Kernstadt seit Jahren eine funktionierende Taktik. Das Konzept, den Gewerbesteuerhebesatz so niedrig wie möglich anzusetzen, zeigt Wirkung (Ronneberger, Vöckler und Wagner 2012, S. 33). Lokal wird von Steuerdumping gesprochen, mit Folgen für die gesamte Region (Harting 2005). Das geht so weit, dass sich sogar Briefkastenfirmen in Eschborn angesiedelt haben.
In ihrer Mini-Forschung erarbeitet Linda Meier eine didaktisch und methodisch vielfältige Storymap, die von Lehrkräften genutzt werden kann, um sich mit der Bezeichnung Eschborns als „Steuerparadies“ auseinanderzusetzen.
Mehr dazu: Mini-Forschung Interkommunale Zusammenarbeit bzw. Konkurrenz