Migration: Fakten und Widersprüche

In den USA ist die Migration aktueller denn je: hier wandern schon seit dem 19. Jahrhundert Menschen aus Lateinamerika, vor allem aber aus dem Nachbarland Mexiko auf der Suche nach einem besseren Leben ein. Diese ersten Migranten von Mexiko in die USA waren jedoch zum Teil unfreiwillig migriert, denn die Staatsgrenze bewegte sich über sie hinweg (siehe Südperspektive) (LIBRARY OF CONGRESS 2020). Nach dem Vertrag von Guadalupe, der nach der Niederlage Mexikos im Krieg gegen die USA im Jahre 1848 beschlossen wurde, verlor Mexiko mit 55% mehr als die Hälfte seines Staatsgebiets an die Vereinigten Staaten. Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrages lebten mit 100.000 mexikanischen Staatsbürgern etwa 4% der damaligen mexikanischen Bevölkerung auf dem später amerikanischen Gebiet (LIBRARY OF CONGRESS 2020).

Veränderungen des Grenzverlaufs zwischen den USA und Mexiko zwischen 1835 und 1848, Darstellung: Elbie Bentley(2024) UBT

Die mexikanische Wanderungsbewegung gilt als eine der dynamischsten und größten Migrationsströme weltweit. Betrachtet man die Bevölkerung in den USA, so werden die Dimensionen dieser Migrationsbewegung deutlich: im Jahr 2007 hatten die USA 300 Millionen Einwohner, von denen etwa sechs Prozent, was ungefähr 18 Millionen Personen entspricht, in Lateinamerika geboren sind. Auch das Wachstum der Bevölkerung ist enorm.

Abbildung 8: Aktuelle und prognostizierter Bevölkerungswachstum in den USA, welcher sich auf die Immigranten und ihre Nachfahren zurückführen lässt (Pew Research Center 2015c).

 

Lebten im Jahr 2000 noch ca. 35 Millionen Hispanics in den USA, so sind es im Jahr 2020 etwa 60 Millionen. Dieses Wachstum nimmt weiterhin zu und es wird prognostiziert, dass die Hispanics mittelfristig die größte Bevölkerungsgruppe in den USA sein werden (SANDELL et al. 2007: 2f., GAMERITH & GERHARD 2017: 81f., PEW RESEARCH CENTER 2020b). Mexiko gilt als eines der größten Emigrationsländer und im Zeitraum von 2000 bis 2005 sogar als größtes Emigrationsland weltweit. Hinzu kommt auch, dass im Jahr 2010 etwa 12 Millionen in Mexiko geborene Immigranten in den USA lebten. Das waren damals mehr als 10% der gesamten mexikanischen Bevölkerung (SANDELL et al. 2007:5, KÄSS 2008: 45, VAN DEN BERG & BODVARSSON 2013: 362).

Abbildung 4: Anteil der Immigranten an den unterschiedlichen hispanischen Bevölkerungsgruppen seit 2000 (Quelle: Pew Research Center 2017).

Die hispanische Bevölkerung macht in den USA die größte ethnische Minderheit aus und ist mit 52% noch immer der größte Antrieb für das Bevölkerungswachstum zwischen 2010 und 2019 in den USA (Pew Research Center 2020c). Die Mexikaner machen mit 61, 9% außerdem den größten Anteil aller Hispanics in den USA aus (PEW RESEARCH CENTER 2020F).

Allerdings wächst die Anzahl der Hispanics in den USA, was sich vor allem auf die hohe Anzahl an der in den USA geborenen Nachfahren der immigrierten hispanischen Bevölkerung zurückführen lässt (PEW RESEARCH CENTER 2017).

Abbildung 6: Darstellung der U.S. Hispanics nach Generationen (Quelle: Pew Research Center 2016 ).

Des Weiteren charakterisiert sich die diese Bevölkerungsgruppe in den USA dadurch, dass sie die jüngste ethnische Bevölkerungsgruppe ist. Jedoch ist anzumerken, dass deren Alter zunimmt. Im 19. und 20 Jahrhundert migrierten überwiegend Männer auf der Suche nach Arbeit. Seit den 1990er Jahren gab es allerdings einen Wandel, sodass die Geschlechter der hispanischen Migranten aktuell ungefähr ausgeglichen sind. Dies lässt sich unter anderem auf den Wandel der Rolle der Frau zurückführen (KÄSS 2008: 49). Zudem lässt sich sagen, dass die meisten hispanischen Arbeiter*innen über eine geringe Bildung verfügen. Allerdings hat das Bildungsniveau der erst kürzlich immigrierten Hispanics im Jahr 2018 ein neues Hoch erreicht. Trotz alledem liegt das Bildungsniveau der hispanischen Immigrant*innen noch immer unter dem der anderen Immigrant*innen in den USA (PEW RESEARCH CENTER 2020a).

Push und Pull Faktoren


Sowohl die besseren Arbeitsbedingungen, die höheren Gehälter als auch die Verfügbarkeit von Arbeit dienen für viele hispanische Immigranten als Pull-Faktoren, weshalb Migration eine sehr attraktive Option darstellt (OROZCO VARGAS 2013: 12). Die politische Situation im Ursprungsland lässt sich also als Push-Faktor bezeichnen, während die politischen Konditionen im Zielland, wie beispielsweise die Demokratie, als Pull-Faktoren zu sehen sind. Darüber hinaus haben auch die soziokulturellen Gründe eine immer größere Bedeutung. Durch die Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte sind komplexe familiäre und soziale Netze entstanden. Oftmals sind nicht die schlechten ökonomischen Bedingungen der Auslöser für die Migration, sondern diese Netze. Häufig ziehen sie die Emigration von Familienangehörigen und Freunden aus Mexiko mit sich. Ein weiterer soziokultureller Aspekt ist, dass Eltern oftmals nicht nur wegen besserer Arbeitsbedingungen migrieren, sondern um ihren Kindern bessere Chancen, einen Zugang zum Bildungssystem der USA und die Option Englisch flüssig sprechen zu lernen, ermöglichen wollen (OROZCO VARGAS 2013: 17).

Situation in den USA


Auch wenn beide Gruppen häufig aus ökonomischen Gründen migrieren, so haben die Hispanics in den USA noch immer eine unglückliche Position in Bezug auf ihre ökonomische Situation. Die Mehrheit der hispanischen Immigrant*innen arbeitet in den Sektoren Landwirtschaft, Bauindustrie, Textilindustrie, Haushaltsreinigung und der Erhaltung von Gebäuden sowie dem Verkauf von verschiedenen Objekten und Essen auf der Straße (OROZCO VARGAS 2013: 14). Diese Tätigkeiten charakterisieren sich durch niedrige Löhne, Ausbeutung, dem Fehlen von Gewerkschaften und durch große körperliche Anstrengung. In Folge dessen zeigt sich eine Einkommenslücke zwischen hispanischen und amerikanischen / weißen Haushalten. Im Jahr 2009 betrug das durchschnittliche Vermögen eines hispanischen Haushaltes 6.325 Dollar, während das eines durchschnittlichen weißen Haushaltes 113.149 Dollar betrug.

Heutige Migration in die USA: Bedeutung für beide Länder


Obwohl die öffentliche Auffassung in den USA gegenüber den Hispanics häufig negativ dargestellt wird, hat die Immigration eine überwiegend positive Bedeutung für die USA. Viele Bürger in den USA scheinen sich dessen und der Abhängigkeit der beiden Länder voneinander schlichtweg nicht bewusst zu sein. Sie zeigt sich vor allem, wenn man die wirtschaftlichen Implikationen miteinander vergleicht: in Mexiko herrscht ein Überangebot an Arbeitskräften, während diese gleichzeitig in den USA fehlen. Durch die häufig auch illegale Migration wird dieses Überangebot in Mexiko und der Mangel in den USA ausgeglichen. Im Gegenzug erhält Mexiko Rücküberweisungen (remesas), welche mittlerweile ein wichtiges Wirtschaftsbein des Landes sind. Unterdessen bietet sich der amerikanischen Wirtschaft die Möglichkeit, weiterhin zu wachsen. Zwar erfahren beide Länder positive Auswirkungen aufgrund der Migration, für Mexiko kommen allerdings auch negative Aspekte hinzu. Betrachtet man die demographischen Auswirkungen in beiden Ländern, so ist ersichtlich, dass diese in Wechselwirkung zueinanderstehen. Während die Migration in den USA auf die Demographie vor allem kurz- und mittelfristig eine positive Wirkung erzielt und somit die Probleme des demographischen Wandels zeitlich nach hinten verschiebt, hat Mexiko mit einer schnell überalternden Gesellschaft zu kämpfen. Langfristig gesehen werden allerdings auch die USA mit den Problemen einer alternden Gesellschaft und einer erhöhten Anzahl an Rentnern zu kämpfen haben.

Bei der Betrachtung der kulturellen Auswirkungen der Migrationsbewegung zeigt sich eine starke Dominanz des mexikanischen Einflusses auf die USA. Diese Auswirkungen zeigen sich in verschiedenen Dimensionen, unter anderem dem Essen, den kulturellen Gepflogenheiten und den Feiertagen.

Für Mexiko wiederum ist der kulturelle Einfluss durch die Abwanderung vieler Mexikaner in die USA, zumindest nach dem heutigen Stand der Forschung, vergleichsweise gering. Ein interessanter Aspekt in diesem Zusammenhang ist die vermeintliche Auswirkung auf die Geschlechterrollen in Mexiko, da Frauen die Lücken schließen müssen, die durch den Weggang der Männer entstehen (CONAPO 2012: 21). Dadurch kann man bereits jetzt Veränderungen im Arbeitsmarkt dieser Regionen erkennen. Zusätzlich sorgen die Urlaubsheimkehrer unter den Migranten für eine weitere interessante Entwicklung in Mexiko. Diese emigrierten Mexikaner haben den amerikanischen Lebensstil adaptiert und bringen ihn bei Heimatbesuchen mit nach Mexiko, wodurch sich das allgemeine Konsumverhalten vor Ort in Bezug auf Kleidung, Essen und Ernährung ändert (RÓMAN MORALES 2009: 219). Ein zusätzlicher Aspekt, der bei der Untersuchung der kulturellen Änderungen in Mexiko eine wichtige Rolle spielt, ist die amerikanische Altersmigration. (CROUCHER 2009: 2). Diese ausgewanderten Amerikaner beeinflussen ihr mexikanisches Umfeld mit einer Selbstverständlichkeit, die ihren mexikanischen Pendants scheinbar verwehrt bleibt.

 

Zusätzliche Informationen:


Definition von Migration und von der Zielgruppe „Migranten“ (Bundeszentrale für politische Bildung)

Dossier Migration (Bundeszentrale für politische Bildung)

Immigration and Relocation in U.S. History (Library of Congress)

Las remesas enviada a México suben 5.18 % en el primer mes de 2020 (Los Angeles Times)

Wie Geht es Weiter mit dem Dreamern? (Tagesschau)

Supreme Court Overturns Trump Administration’s Termination of DACA (National Immigration Law Center)

Those from Mexico will benefit most from Obama’s executive action (Pew Research Center)

The Cultural Move: Impact of Mexican Migration on Today’s American Food (Yale National Initiative)

How Latinos Are Shaping America’s Future (National Geographic Magazine) 

Volle Quellenangaben:


Literaturliste

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