Tag 02 Forschungsauftrag: Porto – Eine UNESCO-Welterbe-Stadt zwischen Urbanität und Musealisierung

Die Stadt Porto im Norden Portugals an der Mündung des Flusses Douro gilt als eine der ältesten Städte des Landes. Als zweitgrößte Stadt nach der Hauptstadt Lissabon erfährt nun auch Porto besonders in den letzten Jahren immer mehr an – vor allem touristischer – Bekanntheit und Beliebtheit. Nicht nur die Lage in unmittelbarer Nähe zum Meer und in der landschaftlich einzigartigen Region des Douro, sondern auch die verwinkelten und malerischen Gässchen und Gebäude des historischen Altstadtkerns sowie die zahlreichen Brücken ziehen immer mehr Besucher an.

Die Altstadt Portos, sowie die Ponte Dom Luíz I (als zweitälteste noch existierende Brücke über dem Douro) und das Kloster Serra do Pillar sind seit 1996 UNESCO Weltkulturerbe. Der besondere Schutz des Gebietes soll in erster Linie dem Erhalt der historischen Bausubstanz dienen. Doch gerade aus den restriktiven Vorgaben bezüglich Erneuerung und Renovierung ergeben sich auch Nachteile für die Bewohner der Stadt und die Stadtentwicklung. Fallen die Auflagen der UNESCO bei einzelnen Baudenkmälern – wie dem Kloster oder der Brücke nicht so schwer ins Gewicht, befindet sich besonders der bewohnte Teil der Innenstadt Portos zunehmend im Konflikt zwischen Konservierung der historischen Gebäude und notwendiger Erneuerungen. Auch ist ein zunehmendes Interesse von inländischen wie mehr und mehr auch ausländischen Investoren und Beherbergungsbetrieben in der Altstadt festzustellen.

Diese zahlreichen Investitionen in den Tourismussektor verändern die Stadt auf unterschiedliche Art und Weise. Die Viertel befinden sich in einem Zustand des starken Wandels. Dieser Wandel wird allein schon dadurch sichtbar, dass sich das Erscheinungsbild der Gebäude verändert. Aber er macht sich auch dadurch bemerkbar, dass ein großer Teil der ehemaligen Bewohner*innen an den Stadtrand bzw. in die Außenbezirke Portos zieht. Für diesen Abwanderungsprozess sind vor allem zwei eng miteinander verknüpfte Verdrängungsmechanismen verantwortlich. Zum einen handelt es sich um eine finanzielle Verdrängung und zum andern um eine damit verbundene kulturelle Verdrängung. Diese Entwicklungen begannen damit, dass große Investitionssummen in umfangreiche und kostenintensive Restaurationsarbeiten flossen. Für den verbesserten Wohnraum resultieren daraus zahlreiche Mieterhöhungen, die für einige Teile der Bevölkerung nicht mehr tragbar sind. Ausgelöst durch den Wandel der Mieterschaft und auch durch die hohe Fluktuation der neuen Touristenströme wurde ein kultureller Verdrängungsprozess in Gang gesetzt. Mit der verstärkten Abwanderung von alteingesessenen Bewohnern, geht ein Teil des Identitätsgefüges des Viertels verloren, was wiederum die Atmosphäre des Gebiets dauerhaft und fundamental verändert. Traditionelle Strukturen und Praktiken sind heute nur noch versteckt hinter den Hochglanzfassaden der Ribeira und Seite an Seite mit verfallenen Gebäuden zum Beispiel in der Rua da Lada zu finden.

Einer tiefergehenden Betrachtung der Dynamiken in Porto kann folgende Arbeitsthese zugrunde gelegt werden: „Die Verdrängung des finanziell schwächeren Teils der alteingesessenen Bewohner hat die Atmosphäre des Viertel so sehr verändert, dass auch finanziell besser gestellte Bewohner nach und nach das/die Quartier/e verlassen.“

Die zunächst verbliebenen Bewohner fühlen sich aufgrund der Veränderungen schlichtweg nicht mehr wohl und „zu Hause“ in ihrem Viertel. Wer die Wahl zu gehen hat, der geht. Wer bleibt, das sind die Ärmsten und die Alten, welche beide meist unter einfachsten Bedingungen leben müssen. Durch den Wegzug der angestammten Bewohner verlieren die Viertel ihren einstigen Charme und Charakter als „gelebte Räume“. Der Reiz einer bereits über viele Dekaden kultivierten Urbanität muss an vielen Stellen einer artifiziellen und touristifizierten Atmosphäre weichen.

Abbildung 1: Altes Wohnhaus in der Rua de São Sebastião

Entwicklungen wie diese führen dazu, dass bestimmte Viertel eher einem Museum gleichen,  denn ein Wohn- und Lebensraum darstellen. Ein weiteres Mahnmal für diese problematische Entwicklung sind die zahlreichen leerstehenden Gebäude. Die hohen Investitionskosten können bei der Renovierung von Wohnraum kaum gedeckt werden. Gebäude werden daher an vielen Stellen nur für eine gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss renoviert.  Um diese Entwicklungstendenzen überprüfen und die Atmosphäre in den verschiedenen Vierteln Portos am eigenen Leib erfahren zu können, wurden vier Gebiete ausgewählt, welche jeweils von einer Gruppe mit drei bis fünf Studierenden im Hinblick auf die formulierte Arbeitsthese bearbeitet wurden.

Der Arbeitsauftrag umfasste in erster Linie die Kartierung von Leerstand (rot), Gewerbe (gelb), Wohnen (grün) und touristischen Attraktionen (blau). Zudem sollten die Studierenden das Stadtleben sowie die Atmosphäre vor Ort untersuchen und Bürger zu ihrer Wohnsituation und der Entwicklung des Gebiets befragen. Drei der Gebiete sind direkt in der historischen Altstadt lokalisiert. Das vierte Untersuchungsgebiet befindet sich auf der gegenüberliegenden Flussseite in Vila Nova de Gaia und somit nicht mehr im direkten UNESCO-Gebiet (s. Abbildung 1). Mit Hilfe der Untersuchung des Südufers können die Ergebnisse aus Porto kontrastiert und mögliche Unterschiede erfasst werden.

Abbildung 2: UNESCO-Welterbegebiet (blau umrandet) sowie die Untersuchungsgebiete der Teilgruppen 1 bis 4

Die Forschungsergebnisse der drei Gruppen aus Portos Altstadt sowie der Gruppe aus Vila Nova de Gaia werden nun im Folgenden kurz dargestellt:

Forschungsgebiet 1: Rua de Sao Bento da Vitoria
Die erste Gruppe beschäftigte sich mit den Straßen rund um die Rua de Sao Bento da Vitoria. Als besonders auffällig in diesem Gebiet der Stadt wurden von den Studierenden die vielen leerstehenden Gebäude und Baustellen genannt. An vielen der ehemaligen Wohnhäuser lassen sich Graffitis finden, die auf Verdrängungsprozesse hinweisen und dazu auffordern den Wohnraum wieder zur freien Verfügung an die Anwohner zurück zu geben (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3: Graffitis an einer Hauswand im Untersuchungsgebiet 1: „Porto Morto“; „Dear Tourist, it’s not YOUR but your MONEY’S FAULT“
Abbildung 4: Viertel in der Umstrukturierungsphase: Renoviertes Haus links, nicht-renovierte Häuser rechts

In der weiteren Untersuchung konnte herausgefunden werden, dass die Gebäude nicht deshalb leer stehen, weil sie nicht mehr bewohnbar sind, sondern weil sie zum Investitionsgegenstand wurden. Steigende Mieten und eine zunehmend unattraktivere Atmosphäre führen immer öfter zu einem mehr oder weniger freiwilligen Wegzug der Bewohner. Es herrscht eine „Atmosphäre des Ausschlusses“. Zudem strahlt die Umgebung ein „Warten auf Modernisierung“ aus. Ausgehend von der angrenzenden Rua das Flores, welche bereits im Glanz einer modernen Flanierstraße mit Läden und Restaurants erstrahlt, befindet sich das untersuchte Gebiet in einer starken Umstrukturierungsphase. Immer mehr Häuser werden nach und nach von Investoren renoviert (vgl. Abbildung 4). Es liegt deswegen nahe, zu vermuten, dass sich der Trend der Rua das Flores auch in diesen Straßen fortsetzen wird. Durch den Umbruch herrschen aktuell weder eine klassische Urbanität noch eine angenehme Wohnatmosphäre vor, weshalb von den Bürgern auch Aktionen gegen die Verdrängung gestartet werden.

Forschungsgebiet 2: Avenida dos Aliados
Die Prachtstraße und heutige Einkaufsmeile Avenida dos Aliados wurde im Zuge der modernen Stadterweiterung in Richtung Norden hin verlängert und liegt nur zu einem kleinen Teil innerhalb der Zone des UNESCO-Weltkulturerbes. Da in diesem Bereich der Stadt kaum Wohnnutzung stattfindet und vorwiegend Hotels, Firmensitze und Gewerbeflächen vorliegen, diente dieses Forschungsgebiet lediglich der Kontrastierung der einzelnen Stadtgebiete, die es zu untersuchen galt.

Forschungsgebiet 3: Ribeira
Der Ribeira-Platz am Ufer des Douro bildet zusammen mit der Uferpromenade den wohl am stärksten von Touristen bevölkerten Bereich der Stadt. Von hier hat man einen uneingeschränkten Blick auf die Ponte Dom Luís I und auf die gegenüberliegende Flussseite. Das ehemalige Arbeiter- und Wohnviertel liegt deshalb zusammen mit dem ersten Forschungsgebiet im Fokus des Spannungsfeldes zwischen Wohnnutzung und touristischer Nutzung, auch wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Entwicklungen hier schon weiter fortgeschritten sind als im ersten Gebiet. In den Erdgeschossen der ehemaligen Hafengebäude sind heute fast ausschließlich Restaurants und Hotels zu finden. Die Obergeschosse setzten sich zum Großteil aus Hotelzimmern und Wohnungen zusammen, wobei viele dieser Wohnungen als AirBnb-Appartments genutzt werden und nicht dem freien Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen.

Abbildung 5: Kartierung der Studierendengruppe des Forschungsgebietes 3

Forschungsgebiet 4: Avenida Diogo Leite (Vila Nova de Gaia)
An der Uferpromenade rund um die Avenida Diogo Leite wurde am Untersuchungstag eine Art Straßenmarkt veranstaltet. Essens- und Souvenirstände mit lokalen Produkten säumten die breite Straße. Neben diesen Ständen wurde das Erscheinungsbild vor allem von den bereits von weitem sichtbaren Gebäudekomplexen der traditionellen Portweinhersteller sowie durch zahlreiche Restaurants geprägt.

Fazit:

  • Im Besondern sind Ribeira und die Avenida dos Aliados stark vom Tourismus und der Musealisierung eingenommen
  • Steigende Mieten und Renovierungen sind nicht der alleinige Grund für die Abwanderung der einstigen Anwohner
  • Es herrscht eine Atmosphäre der Verdrängung vor, durch die sich die Menschen von ihrem Viertel entfremden
  • Als Schlüsseljahr kann 2013 herangezogen werden, da sich damals Billigairlines wie Ryan Air vermehrt auf Porto fokussierten
  • Trotz alldem führt der Touristenboom auch dazu, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden und Portugiesen wieder in ihrer Heimatstadt arbeiten können.

Der anstrengende Tag wurde mit einer Besichtigung der Portweinkellerei Ferreira in Villa Nova de Gaia und einer anschließender Probe „versüßt“.

von Dominik Gerber, Michael Hartbauer, Theresia Pöschl, Stefanie Richter & Simon Ritter

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