Bier in Ruanda
Zwischen Tradition, kolonialen Verstrickungen und Finanzialisierung
Ziemlich süß, und mit einer deutlichen Alkoholnote: Urwagwa, das traditionelle Bananenbier aus Ruanda ist in jeder ländlichen Schenke im Land zu kaufen und wird in großen Mengen konsumiert. Biergenuss hat eine lange Tradition in Ruanda, das Getränk wurde schon in präkolonialen Zeiten – vor allem zu festlichen Anlässen – hergestellt und getrunken. Wie hat sich die Herstellung, der Konsum und die polit-ökonomischen Rahmenbedingungen seitdem verändert?
Sowohl das traditionelle Bananenbier wie auch das europäisch geprägte Bier auf Hopfenbasis sind in Ruanda sehr präsent und werden von der Bevölkerung als kulturell tief verankert beschrieben. Das wird allein schon bei der Beobachtung des öffentlichen Raums sichtbar: Ruandas Bierfirmen sind die größten Webenehmer der Landes, in den Städten dominieren übergroße Werbetafeln der neusten Erzeugnisse das Bild, in jedem Dorf lassen sich schon beim Durchqueren mit dem Bus Läden mit Schildern der großen Biermarken finden. Alle großen Sport- und Musikevents sind von Bierfirmen gesponsort. Bier ist also integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Raums. Dabei ist ein deutlicher Stadt-Land-Unterschied zu erkennen. Urwagwa ist in Kigali als Großstadt und Gisenyi als Mittelstadt nur schwer zu finden, dafür dominiert es den Biermarkt in ruralen Gebieten. Das ist auf kulturelle und ökonomische Faktoren zurückzuführen. Größere Städte, federführend Kigali, sind die Showbühnen des ruandischen Entwicklungsnarrativs und jenes ist so wirkmächtig, dass es zu einer fundamentalen Transformation der urbanen kulturellen Sphäre beigetragen hat. Das in der Öffentlichkeit zu beobachtende Leben wirkt – zum Teil staatlich forciert – zunehmend westlich geprägt und in diesem Zuge hat sich auch das hopfenbasierte Bier durchgesetzt. In den staatlich vernachlässigten ruralen Gegenden sind tradierte Kulturelemente präsenter, so auch das Bananenbier. Die ökonomische Dimension ist jedoch mindestens ebenso ausschlaggebend. In ländlichen Gebieten kostet das preisgünstigste industrielle Bier zurzeit 800 RWF für eine Flasche mit 720 ml, ein Liter Urwagwa geht für 300 RWF über den Tresen. Bei Tagesgehältern, die im ländlichen Raum zum Teil 1000 RWF nicht überschreiten, ist das ein signifikanter Unterschied.
Die Geschichte der industriellen Bierproduktion in Ruanda ist eng mit dem Kolonialismus verwoben. Der heutige konventionelle Biermarkt wird von zwei Brauereiketten dominiert, namentlich der Marktführer Bralirwa und der aufsteigende Branchenneuling Unibra. Die Ursprünge beider Firmen sind in der belgischen Kolonialisierung der heutigen DR Kongo zu finden. Bralirwa ist eine Ausgründung einer kongolesischen Brauerei, die im Zuge des Versuchs der Erschließung der kolonialen Märkte durch belgische Geschäftsleute gegründet wurde. Und auch Unibra ist ein Nachfolgeunternehmen belgischer kolonialer Brauereien, wird weiterhin von dem Nachfahren der ehemaligen belgischen Kolonialentrepreneure geleitet und sitzt auch weiterhin in Belgien. Somit sind nicht nur die unternehmerischen Verhältnisse im konventionellen Biermarkt kolonial geprägt, sondern letztendlich auch der ruandische Biergeschmack: Die Brauereien produzieren primär nach europäisch geprägten Rezepten, zum Teil werden auch direkt europäische Marken wie Heineken, Amstel und Guinness gebraut. Prägnantestes Beispiel im ruandischen Kontext ist dabei vermutlich die von Bralirwa vertriebene Marke Mützig. Das Bier stammt ursprünglich aus dem elsässischen Mutzig, wird jedoch heutzutage nur noch unter dem mit Namen mit Umlaut in Ruanda, der DR Kongo und Kamerun vertrieben. Auch in Gesprächen mit Ruander_innen wurde immer wieder ein Bewusstsein über die koloniale Prägung der Bierlandschaft deutlich.
Auch auf der Konsumentenseite zeigt sich die große gesellschaftliche Präsenz des Bieres in Ruanda. Bier darf von Staatsbediensteten montags bis donnerstags ab 16 Uhr konsumiert werden, freitags bereits ab 13 Uhr. Für die sonstige Bevölkerung existieren keine solchen offiziellen zeitlichen Restriktionen und Bierschenken haben in der Regel bereits ab morgens früh geöffnet. Gesellschaftlich ist Bierkonsum ab der Mittagszeit akzeptiert, wer bereits vor 12 Uhr Bier trinken möchte tut das meist privat. Alkoholismus wird von der ländlichen Bevölkerung als großes Problem beschrieben, übermäßiger Konsum Einzelner ist ein häufiges Thema in den community meetings, sogenannten Inama. Männer trinken konsumieren noch immer mehr und öfter Bier als Frauen, jedoch wird hier in der Gesellschaft eine Veränderung in Richtung höherem weiblichen Anteil wahrgenommen. Die Frage nach Präferenzen in der Markenwahl gestaltet sich dabei in urbanen Gebieten vor allem entlang von Fragen der Werbepräsenz und lokaler Verwurzelung der jeweiligen Brauereien. So dominiert das von Unibra produzierte Skol zunehmend den Markt in Kigali, wo es auch gleichzeitig stärker als konkurrierende Marken wirbt und die Brauerei in der Stadt angesiedelt ist. In Gisenyi wiederum dominiert Mützig, was sich wiederum auch im Stadtbild zeigt und im Standort der Brauerei (vgl. Abb. 1).
Gesamtmarktführer Ruandas ist jedoch weiterhin Primus, welches das eingangs beschriebene günstige Bier ist, das in ruralen Gebieten sowohl werbetechnisch am präsentesten ist als auch von einem Großteil der Konsument_innen bevorzugt wird. Im gesamten Land wird auch das konventionelle hopfenbasierte Bier von einer Mehrheit bevorzugt auf Zimmertemperatur statt gekühlt getrunken, was vermutlich auf eine Kombination aus kulturellen und technischen Gründen zurückzuführen ist, da auch das Bananenbier warm konsumiert wird und es in Ruanda bereits eine breitere Versorgung mit konventionellem Bier gab bevor das Land über ein flächendeckendes Stromnetz verfügte, und somit ungekühltes Bier kulturell zu einer Gewohnheitssache werden konnte.
Die Besitzverhältnisse im Bereich der industriell gefertigten Bierproduktion haben in letzter Zeit ihre Eindeutigkeit verloren. So ist Unibra heutzutage hauptsächlich im transnationalen Realestate-Gewerbe tätig und hat diverse Investitionen auf verschiedenen Kontinenten in ihrem Portfolio zu verzeichnen. Die Aufnahme von Investitionen im Bereich der ruandischen Bierproduktion ist in diesem Kontext nur als Nebeninvestition zu verstehen, bei dem der Konzern die Lizenz für die Produktion der in Brasilien dominierenden Marke Skol für den afrikanischen Kontinent erwarb um so die Monopolstellung der Bralirwa anzugreifen. Und das scheint bis jetzt mit Erfolg gekrönt zu sein, der Marktanteil hat sich – vermutlich primär wegen der aggressiven Werbestrategie und es Rufs, das Bier würde weniger Kopfschmerzen auslösen – innerhalb der ersten 5 Jahre von 0 auf 25% gesteigert. Den ehemaligen Monopolisten Bralirwa hat das so stark beunruhigt, dass sie den erfolgreichen Manager des äthiopischen Schwesterunternehmen einfliegen und den vorherigen Manager ersetzen lassen haben. Das ist möglich, da die Brauerei mittlerweile über verschiedene Wege zu einem der größten Brauereikonzerne der Welt gehört. 40% der Aktien gehören zu Heineken International und weitere 35% zu Belegginsmaatschapij BV, was eine indirekte Tochter des Heineken Konzerns ist.
Es ist also abschließend zu erkennen, dass Bier auf der einen Seite eine gewichtige kulturelle Position in der ruandischen Gesellschaft einnimmt, und auf der anderen Seite mit der Zeit im nationalen Kontext große Transformationen unterlaufen ist. Die Wurzeln des ruandischen Bierkonsums liegen sowohl in präkolonialen als auch in kolonialen Zeiten, und resultieren heute in einer Simultanität von ruraler informeller Bierkultur und urbanen finanzialisierten Braukonzernen.