Vol.II: Wenn ich an die Ukraine denke, …

Seit über einer Woche touren wir nun schon durch die Ukraine. Wir haben drei verschiedene Städte gesehen, sind knapp 1300km mit dem Nachtzug durchs Land gefahren, haben vergangene Geschichten und Zukunftsträume gehört und die bunte Vielfalt des Landes kennen gelernt. Zwei Tage vor dem Ende der Exkursion nehmen wir uns nun die Zeit, um das Erlebte zu reflektieren und die Gruppe nochmal zu fragen, was sie am Land überrascht und beeindruckt hat. Diese drei Themen spielten dabei für viele der Gefragten eine Rolle.

Land der Vielfalt

Auf Platz eins der meist genannten Antworten steht… *Trommelwirbel*
…. die Vielfalt des Landes! Alle drei Städte überraschen mit ganz eigener Architektur, Atmosphäre und Aussehen. Dabei entsteht allerdings keineswegs ein homogenes Bild, sondern ein diverses Mosaik aus prunkvollen Altbauten, sowjetischen Wohnblocks und modernen McDonaldsfilialen, aus dicken SUVs und Geländewägen nebst verrosteten Trabbis, glänzenden Einkaufsmalls und Straßenverkäufer*innen. Alt und neu, reich und arm, post-sowjetisch und westeuropäisch liegen nur einen Steinwurf voneinander entfernt und Erstaunen uns in ihrer Parallelität und Differenz immer wieder, auch wenn es sicherlich ähnliche Phänomene auch in Bayreuth zu beobachten gibt.

Global Tech vs. historische Altstadt
Glasbau vs. Prachthaus
The winner is Lwiw!
Kunst in Lwiw

Ob es die schöne Altstadt und die hippen Cafés, die Parks, die Lwiwer Croissants, die übersichtliche Größe oder einfach nur die Sonderstellung als erster Stopp der Exkursion war, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Klar ist nur, dass Lwiw das Rennen um die beliebteste Stadt der Exkursion gewonnen hat. Gerade von Odesa hatten sich einige mehr erwartet (wobei der sonnige Strandnachmittag das anfängliche Bild vielleicht doch noch zum Besseren wenden konnte). Kyjiw dagegen zeigte sich leider viel im grauen Nieselregen, konnte aber immernoch mit beeindruckenden Denkmälern, einer lebendigen Barkultur und dem uns Bayreuther*innen meist ungewohnten Großstadt-Flair punkten.

Krieg oder Frieden?

„In die Ukraine fahren Sie? Na dann passen Sie bitte gut auf sich auf!“, riet mir ein Angestellter meiner Krankenkasse, als ich vor der Exkursion um einen Nachweis meiner Auslandsversicherung bat. In der Ukraine sei schließlich Krieg.

Ein Militärzelt auf der Lwiwer Buchmesse

Diese Thematik beschäftigte wahrscheinlich auch den einen oder die andere Exkursionsteilnehmer*in. Wie fühlt es sich an, in einem Land zu reisen, in welchem fast täglich Menschen an der östlichen Front verletzt oder getötet werden? Sieht man diesen oft vergessenen oder – auch politisch – klein geredeten Krieg auch in den Städten im Westen und im Zentrum des Landes? Welchen Einfluss hat er auf den Alltag der Ukrainer*innen?

Tatsächlich waren wir erstaunt, wie wenig man davon mitkriegt. Es wird nicht darüber gesprochen, die Militärpräsenz ist nur minimal größer als in deutschen Großstädten und „man fühlt sich überall sehr sicher!“, wie ein Exkursionsteilnehmer bemerkt. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob wir in Lwiw, über 1000km von der Front entfernt, oder in Odesa, also lediglich 200km Luftlinie zur Krim, sind.

Panzer in Nationalfarben vor dem Kriegsdenkmal in Kyjiw

Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man kleine Anzeichen: Bei den vor einem Kriegsdenkmal des Zweiten Weltkrieges ausgestellten Panzern weisen kleine Schilder darauf hin, dass diese nicht, wie vielleicht erwartet, Relikte des 20. Jahrhunderts sind, sondern erst 2014 als Beweis der russischen Aggression an der Front konfisziert wurden. Am Majdan-Platz werden Armbänder in Nationalfarben verkauft, deren Erlös den Menschen an der Front zukommt. Und in den Straßen und Metros tauchen immer wieder in Camouflage gekleidete Soldaten mit ukrainischen Flaggen auf den Schultern auf.

Alles in allem jedoch ist es sicherlich eine interessante politgeografische Studie, diese Präsenz bzw. Absenz des Krieges zu betrachten.