Jonas Lüth und Nicole Küper berichten über den Besuch von Lalibela:
Bevor wir in die eigentlichen Felsenkirchen in Lalibela geführt werden, besuchen wir ein angrenzendes Museum. Der Raum ist nicht besonders groß und eher länglich. Die wenigen Fenster an einer Seite des Raums spenden kaum Licht. Dafür gibt es Neonröhren an der Decke, die für ungemütliches, klinisches Licht sorgen. Dort sind viele Priestergewänder, Kopfbedeckungen, Kreuze und religiöse Schriften ausgestellt, die meisten recht lieblos in Glaskästen untergebracht. Beschriftungen gibt es leider kaum – und wenn, dann in Amharisch oder ein simples „don’t touch“ -, aber unser Guide erzählt ein wenig dazu.
Die Kirchen dagegen sind weitaus beeindruckender. Sie liegen etwas höher als der Ort Lalibela, mit schönem Blick auf die umliegenden Hochlandebenen und Flusstäler. Das Gestein ist rötlicher Basalt vulkanischen Ursprungs. In dieses Gestein wurden die Kirchen gemeißelt. Der König Lalibela bekam seinen Namen („honey eater“) der Legende nach durch einen Bienenschwarm, der nach seiner Geburt an die Krippe des neugeborenen Königs kam.
Dieser König, der vermutlich im 11. Jahrhundert nach Christus lebte, habe einen Traum gehabt, in dem Gott ihm befahl, ein zweites Jerusalem zu bauen. Im Anschluss daran reiste er nach Golgatha, wo es die Bauweise, bei der von der Oberfläche des Gesteins nach unten gemeißelt wird, ebenfalls gibt. Er lernte die Kunst, solche Gebäude zu errichten und kehrte zurück nach Äthiopien, um dieses zweite Jerusalem zu errichten.
In den meisten Fällen wurde in einem Rechteck ein Graben in den Felsen gemeißelt. Der dadurch in der Mitte entstandene Block wurde dann von unten nach oben ausgehöhlt und in die Form eines Gebäudes gemeißelt – die Kirche war gebaut. Die Bauweise schütze frühe Christen außerdem vor Feinden, da die Kirchen von weitem nicht zu sehen sind. Es gibt zehn Gebäude, in Anlehnung an die zehn Gebote, wobei eines in zwei Teile geteilt wurde, sodass es nun elf Kirchen gibt. Jede der Kirchen ist einem Heiligen gewidmet. Zwischen den einzelnen Kirchen gibt es Verbindungsgänge und Wassergräben, die den Fluss Jordan symbolisieren und zur Ableitung des Wassers dienen. Symbolisch sind auch runde Elemente im Inneren der Kirchen, die Moses Zelt am Berg Sinai, das ebenfalls rund war, erinnern sollen.
Das Innere der Kirchen ist durch Teppiche am Boden und Vorhängen vor dem jeweiligen heiligsten Teil der Kirche, in dem symbolisch die Bundeslade steht, geprägt. In manchen Fällen wird das Innere zusätzlich zu den kleinen Fenstern durch Neonröhren erhellt, die der erhabenen Stimmung im Inneren aber kaum Abbruch tun. Oft gibt es auch moderne Gemälde von biblischen Szenen und Personen, vor denen Kerzen angezündet werden. In einer Kirche sind viele Fresken und Reliefs, die hauptsächlich Muster darstellen, in einer anderen gibt es ein Fresko mit biblischen Szenen, das König Lalibela selbst gemalt haben soll. Des Weiteren gibt es einen Gang zwischen zwei der Kirchen, in den kein bisschen Licht fällt und dessen absolute Finsternis die Hölle symbolisiert.
Auf dem Gelände stehen auch die ehemaligen Wohnhäuser der Priester. Es sind zweistöckige Rundhütten, deren Erdgeschoss als Lagerraum und Viehstall diente, während der erste Stock den Wohnraum darstellte.
Seit 1991 gehören die Felsenkirchen in Lalibela mitsamt den Wohnhäusern der Priester zum UNESCO Weltkulturerbe. Von der UNESCO wurden auch die großen Dächer erbaut, die über den Kirchen stehen, um diese vor Wetter und damit Erosion zu schützen. Es gab bereits Renovierungsarbeiten an fast allen Kirchen, die von italienischen Experten durchgeführt wurden.
Erstaunlich und besonders beeindruckend fand ich, dass die Kirchen seit der Erbauung vor circa 900 Jahren immer als solche genutzt wurden. Bis heute finden dort Gottesdienste statt, bis heute gehen Gläubige dort hin, um zu beten, bis heute pilgern an Ostern und Weihnachten tausende Gläubige zu diesem heiligen Ort. Das ist gelebte Erinnerung.
Zu den christlichen Praktiken und Normen, die auch in Lalibela eine wichtige Rolle spielen, berichten Franziska Falterer und Sophia Sipple:
Die Reinheit spielt eine essentielle Rolle, so werden auch vor dem Betreten einer Kirche stets die Schuhe ausgezogen und “unreine” Menschen sollten die Kirchen nicht betreten. Als “unrein” gilt zum Beispiel eine Frau, die ihre Periode hat oder ein Mensch, der noch vor einem Tag Geschlechtsverkehr hatte. Die “unreinen” Menschen können vor der Kirche ihr Gebet praktizieren. Vor dem Betreten einer Kirche zeigen die Menschen ihre Ehrfurcht vor dem Gotteshaus, indem sie ihre Hände auf die Wände der Kirchen auflegen, diese mehrmals küssen und sich bekreuzigen. […]
Die Praktiken der christlich orthodox Gläubigen in Äthiopien variieren von Ort zu Ort und Individuum zu Individuum, da die Kirche sehr stark mit der jeweiligen Kultur verbunden ist, was Grundlage für unterschiedliche Interpretationen und Auslegungen bildet. Dennoch ließen sich weit verbreitete Praktiken erkennen, so zum Beispiel das Küssen und ehrfürchtige Berühren von heiligen Gegenständen oder Orten, wie Kirchen, Bibeln oder Kreuzen. Auch bezüglich der Kleidung und dem Schmuck stellten wir während unserer Reise fest, dass viele orthodoxe Christen weiße Gewänder mit Kopftuch (Frauen) oder Turban (Männer) tragen und Kreuzketten aus Holz- oder Metall. Es war bei einem Teil der orthodoxen Christen auch zu beobachten, dass diese traditionellen Gewänder teilweise nur zum Gang in die Kirche oder bei religiösen Festen angezogen wurden, während sie im Alltag westliche Kleidung trugen. Ein weiteres Ausdrucksmerkmal von orthodoxen Christen, das uns jedoch eher seltener begegnete, waren religiöse Gesichtstätowierungen.
Am Ende des beeindruckenden Besuchs in einem gelebten Weltkulturerbe treffen wir uns zu einer abschließenden Reflexionsrunde und Snacks auf einem Hügel mit Blick in Lalibelas „gelobtes Land“.