Lwiw, zu Deutsch Lemberg, liegt im äußersten Westen der Ukraine, an der Grenze zu Polen. Bereits beim ersten Gang durch die Altstadt kommt einem beim Blick auf die Gebäude schnell Wien in den Sinn, obgleich viele Fassaden abseits der Tourismusmeilen in einem schlechten Zustand sind. Diese Beobachtung zeigt sich auch in der Beschreibung Mühlings (Jens Mühling – Schwarze Erde), der die Stadt als „uneheliches Kind, das Salzburg in einer Liebesnacht mit Krakau zur Welt bringt“ bezeichnet. Die Stadt Lwiw, übersetzt „dem Löwen gehörend“, ist ehemalige Hauptstadt und Herzen Galiziens, einem historischen Landstrich, der heute keine administrative Einheit mehr darstellt. Geschichtlich ist die Region geprägt von unterschiedlichen Herrschaftszugehörigkeiten und Grenzverschiebungen.
Nach langjähriger Zugehörigkeit zu Polen, unter dessen Adel die ukrainische Bevölkerung leiden musste, fiel sie 1772 zunächst an Österreich-Ungarn; nach den Wirren des Ersten Weltkriegs wurde Galizien erneut in das wiederhergestellte Polen eingegliedert. Auch im Zweiten Weltkrieg war die Region dann Spielball größerer Mächte: erst unter geteilter sowjetischer und deutscher Besetzung, dann unter deutscher Besetzung, schließlich unter sowjetischer.
Heute gehört der westliche Teil Galiziens zu Polen, der östliche mit Lemberg zur Ukraine. Aufgrund verschiedener Ansiedlungsprogramme Polens und Österreich-Ungarns war die Stadt lange Zeit ethnisch sehr divers, heute ist jedoch der Großteil der Bevölkerung ukrainisch.
Aufgrund dieser historischen Entwicklung ist es nicht verwunderlich, dass man in Lwiw schon nach kurzer Fahrt mit der Tram-Linie 1 aus dem Zentrum der Stadt heraus ein Denkmal des Widerstandkämpfers Stefan Bandera (ukr.: Степан Бандера) findet. Er war lange Zeit in Führungspositionen der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUL), die sich schon unter polnischer Unterdrückungsherrschaft gebildet hatte und fortan gegen jegliche vermeintliche Besatzungsmacht für einen ukrainischen Staat kämpfte. Dabei schreckte sie selbst vor gewaltsamen Handlungen und Attentaten nicht zurück. Anfangs kämpften sie gegen die polnische Herrschaft dann gegen die sowjetischen Besatzer, auch an der Seite der deutschen Nationalsozialisten.
Die Person Bandera wird in der Ukraine jedoch kontrovers diskutiert: Für die einen, vor allem im Westen des Landes, gilt er als Freiheitskämpfer, Nationalheld, der sich gegen das Unrecht, das der ukrainischen Bevölkerung widerfuhr, auflehnte. Für die anderen, vor allem in den Nachbarstaaten Polen, Russland und dem Osten der Ukraine ist er ein Kriegsverbrecher, Mörder, Judenhasser und Nazi-Kollaborateur.
Gestorben ist Bandera übrigens 1959 in München, ermordet durch den sowjetischen Geheimdienst KGB. Auf dem Münchner Waldfriedhof, auf dem er seine letzte Ruhe fand, wurde das Grab zu Beginn der Krim-Krise verwüstet. In Lwiw dagegen wurde das Jahr 2019 zum Bandera-Jahr erklärt.