Nach den ersten zwei Stationen heute, die uns erst zum Botschafter und dann zu Strawtec führten (siehe Kalender) war eine Station an der Reihe von der ich schon von vorneherein nicht ganz wusste wie ich dazu stehen sollte, könnte, oder müsste. Geplant war ein „Rundgang“ durch eine informelle Siedlung in Kigali mit einem Post-doc aus Ruanda selbst. Kurz gesagt wollte er eine DER Grundfragen bearbeiten mit seiner Forschung, für die ich eine simple Antwort nicht für möglich halte: Warum herrscht urbane Armut?
Viele Bilder kamen mir in den Kopf von Fotos oder Videos, die ich privat oder im Rahmen meines Studiums gesehen hatte, und ich wollte dort eigentlich nicht einfach mit dieser großen Gruppe von weißen Studenten (zu denen ich ja schon auch gehöre) unangemeldet durchs Viertel marschieren, zwischen Hütten dicht an dicht an den offenen Abwasserkanälen entlang. Ständig wurden wir in Bayreuth dazu angehalten, kulturell sensibel zu handeln und zu denken, und eben NICHT einen nur etwas institutionalisierten fürchterlichen Klischee-Slum-Tourismus auszuführen, immer mit dem Beigeschmack des kolonialen „white man’s burden“, und das am Ende noch als humangeographische, sozialwissenschaftliche oder gar ethnologische Wissenschaft verkaufen zu wollen. Als Fremder, als „Muzungu“ (>Weißer), habe ich dort insofern nichts verloren, wenn ich nur gaffen wollen würde. Aber genau das kam in etwa auf mich zu.
Von den sehr sauberen Teilen Kigalis plötzlich im Gänsemarsch in den völligen Gegensatz der informellen Siedlung geschubst, realisierte ich das erste Mal wirklich: Diese Armut, diese prekären Verhältnisse gibt es wirklich. Es ist eng, der offene Abwasserkanal stinkt nach allem möglichem Unaussprechlichem, die Menschen dort leben da tatsächlich. Es ist für mich sehr schwierig dieses Gefühl in Worte zu fassen. Eine kurze Szene blieb mir im Gedächtnis: Für einen kurzen Moment gingen wir Studenten alle am einen Ufer eines Kanals, am anderen Ende alle Kinder die uns spontan folgten parallel nach vorne. Dieser hässliche stinkende Kanal als Sinnbild, der für die furchtbare Kluft zwischen uns und diesen Kindern verläuft, existiert. Diese Kinder werden wohl nicht die Möglichkeiten in ihrem Leben haben wie wir.
Nichtsdestotrotz war das anschließende Gruppengespräch, das der ruandische Post-doc mit der lokalen Bevölkerung über ihre Lebensverhältnisse versuchte zu führen hochinteressant und aufschlussreich. Die Kinder waren uns wohlgesinnt, viele begleiteten mich an der Hand; ich wüsste nur zu gern, was am selben Abend in den Familien über uns geredet wurde. Hochkontrovers diskutierten wir jedenfalls dieses Exposure-Erlebnis in der großen Gruppe; innere emotionale Zwiespalt war wohl bei den meisten vorhanden. Einerseits ein wichtiges Erlebnis, andererseits die Frage: Was haben wir uns da eigentlich herausgenommen?