Miniforschung: Ramona Antwi Abeyie

Kigali und das restliche Ruanda

Durch welche Verhaltensweisen und städtebaulichen Maßnahmen hebt sich Kigali als westlich orientierte Großstadt vom restlichen Ruanda ab?

Nach dem Genozid 1994 sollte Ruanda nicht nur schnell wiederaufgebaut werden, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine positive Entwicklung erzielen und als Vorbild für andere afrikanische Staaten gesehen werden. So wurde Anfang der 2000er Jahre das ruandische Entwicklungsprogramm Vision 2020 ins Leben gerufen, dessen Hauptziel es war, Ruanda bis zum Jahr 2020 in ein middle income country zu verwandeln. Allerdings sind sowohl die ökonomischen als auch die infrastrukturellen Entwicklungen landesweit betrachtet sehr ungleich. Um ausländische Investoren anzulocken wurde Kigali, die Hauptstadt Ruandas, starken städtebaulichen Maßnahmen unterzogen, die sich vor allem am Vorbild Singapur orientierten. Aber nicht nur im Stadtbild, sondern auch im Verhalten der Ruander sollte sich die Modernisierungsidee der Regierung niederschlagen. So wurden beispielsweise Gesetze erlassen, die Verhaltensweisen, die als typisch afrikanisch gelten, im Stadtzentrum Kigalis verbieten.

In Form einer Mini-Forschung habe ich die Unterschiede zwischen Kigali und einigen anderen Gebieten Ruandas etwas genauer beobachtet, die ich im Folgenden kurz wiedergeben möchte.

Bleiben wir beim Beispiel der verbotenen Verhaltensweisen, so wird schnell deutlich, dass einige Gesetze lediglich dem Schein einer Veränderung dienen. Während es im Stadtzentrum Kigalis verboten ist, Dinge auf dem Kopf zu transportieren, bleibt anderen Menschen, die im ländlichen Ruanda leben oft überhaupt nichts anderes übrig. Denn während es in Kigali überwiegend gut ausgebaute Straßen mit zahlreichen Transportmöglichkeiten wie Taxis, Bussen, Motorrad- und Fahrradtaxis gibt, sind die Straßen in ländlichen Gebieten meist sehr schlecht ausgebaut und die Menschen müssen aufgrund der wenigen Verkehrsmittel oft kilometerlange Strecken zu Fuß zurücklegen. Das Transportieren auf dem Kopf oder bei schweren Gegenständen auf dem Fahrrad, das dann jedoch aufgrund der schweren Ladung geschoben werden muss, sind in diesen Gebieten die Haupttransportmittel. Ein weiteres Bild, das man oft mit afrikanischen Ländern in Verbindung bringt, sind überladene Lastwagen oder kleine Busse, die Gegenstände auf dem Dach festgebunden haben. Auch diese Phänomene sind in Kigali nicht zu finden, in kleineren Städten außerhalb der Hauptstadt jedoch schon.

Abbildung 1 Kigali
(Quelle: Eigene Aufnahme)
Abbildung 2 Kigali
(Quelle: Eigene Aufnahme)
Abbildung 3 Bumba, Rutsiro Distrikt
(Quelle: EIgene Aufnahme)
Abbildung 4 Auf dem Weg nach Gisenyi
(Quelle: EIgene Aufnahme)

Während es im Zentrum Kigalis kaum kleine lokale Läden oder Verkaufsstände gibt, werden in ländlicheren Gebieten oder in kleineren Städten wie Gisenyi viele Sachgegenstände sowie kleine Essenssnacks (bspw. Chapati oder gegrillte Maiskolben) am Straßenrand aus Privathäusern heraus verkauft oder in lokalen Shops angeboten. Obst und Gemüse wird auch oft von Frauen in großen Behältern auf dem Kopf getragen und ohne festen Verkaufsstand auf der Straße potenziellen Kunden angeboten. In Kigali hingegen gibt es so gut wie keine mobilen Verkäufer und nur sehr wenige Einzelhandelskaufläden. Die meisten Dinge werden hier in großen Supermarktketten, Shoppingmalls oder Restaurants verkauft. In den Supermärkten werden viele Produkte aus dem globalen Norden angeboten, auf einige Produktgruppen bezogen sogar fast ausschließlich. So werden in vielen kleineren Supermärkten nur Markenprodukte wie Ritter Sport und Haribo angeboten, während die lokalen Süßigkeiten komplett aus dem Sortiment fallen. Auch an der Metzgertheke kann man die Anlehnung an westliche Vorbilder deutlich erkennen. Oft sind hier aufgeschnittene Lyoner- und Schinkenwurst vorzufinden, obwohl diese Produkte meiner Beobachtung nach zu urteilen höchstens von einem sehr kleinen Bruchteil der lokalen Bevölkerung konsumiert wird und wahrscheinlich überwiegend von Touristen und Nicht-Ruandern gekauft wird.

Ein weiterer markanter Unterschied zwischen Kigali und anderen Gebieten Ruandas ist der Kleidungsstil. In Kigali haben die Menschen einen mit Europa vergleichbaren oft schlichteren Kleidungsstil. Außerhalb Kigalis wird hingegen mehr Kleidung getragen, die aus traditionellen Stoffen geschneidert ist. Auch das Tragen von Jeanshosen und kurzen Hosen ist unter den Frauen, die in der Hauptstadt leben, viel weiter verbreitet als beispielsweise in Gisenyi oder auf dem Land. Eine weitere Gewohnheit, die man in den vergangenen Jahren oft afrikanischen Ländern zugeschrieben hat, die mit der Zeit aber auch immer mehr zurück nach Europa kommt, ist das Tragen von Kleinkindern auf dem Rücken. In den meisten Teilen Ruandas werden kleine Kinder mit einem Tuch auf den Rücken gebunden, in Kigali ist mir aufgefallen, dass man dieses Bild extrem selten sieht. Dieser Fakt geht vermutlich mit der größeren Mobilität der Hauptstadtbewohner einher. Dadurch, dass mehr Menschen in Kigali eigene Autos besitzen und mehr Schulbusse unterwegs sind, ist es beispielsweise nicht immer notwendig, die Kinder selbst zur Schule zu bringen.

Schaut man sich Kigali also etwas genauer an, sieht man schnell die Anstrengungen, die unternommen werden, um Kigali einem westlichen Stadtbild anzunähern. Sowohl städtebauliche als auch staatliche Maßnahmen sorgen dafür, dass auch die Verhaltensweisen der Individuen einen entsprechenden Wandel durchlaufen. Sicherlich haben einige der beobachteten Unterschiede auch mit Geld und den zur Verfügung stehenden Mitteln zu tun. Denn tendenziell würde ich behaupten, leben in Kigali reichere Menschen als in anderen Teilen Ruandas. Gleichzeitig unterliegen die Hauptstadtbewohner aber auch einem stärkeren staatlichen Druck. Aufgrund der deutlich höheren Polizeipräsenz können Verbote konsequenter durchgesetzt und Menschen direkt sanktioniert werden. Dieser Druckunterschied wird auch schon innerhalb Kigalis sichtbar, wenn man Kigali-Zentrum mit Kigali-Peripherie vergleicht. Während das Zentrum mehr oder weniger als Vorzeigestadt fungiert, findet man am Rande Kigalis beispielsweise wieder mehr nicht-asphaltierte Straßen und mehr lokale Einkaufsläden.

Abschließend lässt sich sagen, dass Ruanda in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht hat, allerdings ist diese Entwicklung nicht symmetrisch, sondern es besteht ein starkes Gefälle zwischen Kigali und anderen Gebieten Ruandas.