1. Einleitung
Bordeaux ist eine bedeutende Stadt in Frankreich, und wirbt mit ihrem geschichtsträchtigen Charakter. Neben einzelnen historischen Gebäuden ist eine große Fläche an der Westseite der Garonne, die etwa 40% der Stadt ausmacht, als UNESCO Weltkulturerbe gelistet. Die Entwicklung der Stadt bis 1945 soll im Folgenden dargestellt werden. Zudem soll insbesondere auf die Bedeutung der mehr als 200 Jahre andauernden englischen Herrschaft für das heutige Bordeaux eingegangen werden. Hierzu wurde vor Ort eine Miniforschung zu Art und Umfang der Repräsentation dieser Zeitperiode durchgeführt. Untersucht wurden insbesondere das Musée d’Aquitaine und die Internetauftritte der Stadt.
2. Entwicklung der Stadt
2.1. Antike und Völkerwanderungszeit
Wann genau sich ein Stamm der Bituriger namens Vivisci am Standort des heutigen Bordeaux niederließ, ist unbekannt, aber er etablierte sich dort als einem wichtigen Standort in Gallien (Julian, 1895: 11). Das damalige Bordeaux war sehr auf Handel ausgelegt, und ist „eher ein Kontor als eine Stadt“ (ebd.: 13). Um 56 v. Chr. wird das Gebiet vom Römischen Reich erobert. Der nun eingesetzte Gouverneur herrschte von Bordeaux aus über die Provinz Gallia Aquitanica, was der Stadt eine zentrale administrative Rolle gab (ebd.: 16). Unter den Römern wird die Stadt befestigt und floriert durch den Handel mit Zinn und Leder. Nach dem Fall des Römischen Reiches wird Bordeaux mehrmals erobert und geplündert, wodurch die Blütezeit des Handels vorerst ein Ende findet (Encyclopedia Britannica: Bordeaux).
2.2. Mittelalter
Mitte des 12. Jahrhunderts fällt Aquitanien mit Bordeaux unter die Herrschaft des englischen Königs Henry II. Als Teil Englands genießt die Stadt viele Privilegien, und durch den Handel mit den britischen Inseln floriert die Stadt (Encyclopedia Britannica: Bordeaux). Neben einer Stadtmauer werden auch viele Kirchen im gotischen Stil gebaut. In diese Zeit fällt auch die Errichtung eines der Wahrzeichen der Stadt, der Grosse Cloche (Abbildung 1).
Nach der Niederlage Englands im Hundertjährigen Krieg fällt die Stadt wieder unter die Herrschaft der französischen Krone. In Folge des nachlassenden Handels mit Wein verliert die Stadt allmählich wieder an Wohlstand und Bedeutung.
2.3. Neuzeit
Erst durch den Handel mit Rohstoffen aus der sog. Neuen Welt erlebt Bordeaux als bedeutender europäischer Umschlagplatz wieder eine wirtschaftliche Blütezeit (Hubert et al., 2018: 16). Um der Bedeutung als Fenster zum Rest der Welt gerecht zu werden, beginnen Anfang des 18. Jahrhunderts die vom König entsandten Intendanten Boucher und Tourny weitreichende Umbauten der Stadt (ebd.: 18). Im Laufe des Jahrhunderts wird die noch sehr mittelalterliche, von Befestigungsanlagen umringte Stadt in einem Rokoko, Barock und Neuklassizismus kombinierenden Stil modernisiert. Zudem wurden von den Stadtbewohnern viele eindrucksvolle Stadtvillen in der Stadt und den Vororten gebaut. Die mittelalterliche Stadtmauer wird an mehreren Stellen eingerissen, um Platz für Stadttore wie das Porte D’Aquitaine oder das Porte de Bourgogne zu machen. So wurde auch die Errichtung von langen, geraden Straßen ermöglicht. (ebd.: 26)
Der wirtschaftliche Aufschwung und die intensive Bebauung führten zu einer zunehmenden Verdichtung in der Stadt und dem Wachstum der Vororte (ebd.: 28). Die weitreichenden Umbauten ändern ein Drittel der Stadt radikal (ebd.: 30).
Im Zuge der Koalitionskriege und Napoleons Kontinentalsperre wird der Bordeaux-Handel stark eingeschränkt. Dafür wird Bordeaux als Transitort auf der Route nach Spanien für Napoleons iberische Kampagne wichtig. Napoleon gibt den Bau der ersten festen Brücke über die Garonne in Auftrag, die fast 150 Jahre auch die einzige blieb (https://www.bordeaux-tourism.co.uk/cultural-heritage/pont-pierre.html). Im Zuge der Industrialisierung erlebt die Stadt viele Veränderungen: u.a. wachsen die Vororte mit den markanten échoppes (ein- bis zweistöckige Haus mit Flachdach), die Hafenanlagen werden modernisiert, und der Bahnhof Saint-Jean wird im Süden der Stadt gebaut (https://www.bordeaux.fr/p7034/bordeaux-industriel).
Von Bedeutung ist auch der U-Boot Bunker, der von den deutschen Besatzern im zweiten Weltkrieg gebaut wurde, und heute immer noch steht (www.france24.com).
3. Welchen Stellenwert die englische Herrschaftsperiode für das heutige Bordeaux?
Das Musée d’Aquitaine hat zwei Stockwerke, auf denen die Geschichte der Stadt dargestellt wird. Während der erste Stock sich mit der Neuzeit beschäftigt, behandelt das Erdgeschoss die Antike und das Mittelalter. Ein großer Teil ist dem Zeitraum der englischen Herrschaft gewidmet. Während ein paar Tafeln über die Herrschaft informieren, werden hier größtenteils Artefakte präsentiert und erklärt. Diese sind größtenteils kirchlich, und eine Verbindung zur englischen Herrschaftsperiode (außer dass sie während dieser hergestellt wurden) ist nicht direkt ersichtlich.
Auf den Webseiten der Stadt bekommt das Thema eine unterschiedliche Resonanz. Die Tourismuswebseite etwa weist nur ein paar wenige Randbemerkungen auf (www.bordeaux-tourism.co.uk). Die französische Webseite der Stadt wiederum hat mehrere Verweise auf die englische Herrschaft. Sie wird z.B. als „erstes goldenes Zeitalter“ der Stadt beschrieben, und auf verschiedenen Unterseiten des Themas Stadtgeschichte behandelt (www.bordeaux
Die Universität von Bordeaux wurde 1441, also kurz vor dem Ende der englischen Herrschaft, gegründet. Erinnert wird aber vor allem, in Form einer Statue, an den Gründervater Erzbischof Pey Berland (www.u-bordeaux.fr).
Letztlich stellt sich auch die Frage: Wie viel ist von dem Bordeaux der englischen Könige geblieben? Wie in dem geschichtlichen Überblick schon erläutert, wurde die mittelalterliche Stadt in der jungen Neuzeit großflächig abgerissen und umgebaut. Neben einigen gotischen Kirchen wie der Église Saint-Pierreist das wohl bekannteste Gebäude die Grosse Cloche. An der Spitze des Turmes ist ein goldener Löwe, das Herrschaftssymbol der Englischen Krone, zu erkennen. Das führt auch zur deutlichsten Repräsentation der englischen Herrschaft im heutigen Bordeaux: dem Wappen der Stadt (Abbildung 3). Auf ihm sind sowohl die Grosse Cloche, als auch der englische Löwe zu sehen.
Fazit
Bordeaux ist eine Stadt mit einer langen Geschichte, die sehr von ihrer geographischen Lage profitiert hat. Als Verbindungspunkt zwischen dem Mittelmeer und dem Atlantik, sowie Frankreich und der iberischen Halbinsel genoss die Stadt mehrere Perioden intensiven Handels. Das bedeutete aber auch im Umkehrschluss, dass die Stadt schon immer sehr abhängig vom Handel war, und dass Ereignisse die diesen einschränkten–wie Machtwechsel oder die Napoleonischen Kriege– schnell direkte wirtschaftliche Folgen für die Stadt hatten.
Im Alltag begegnen den Einwohner*innen von Bordeaux nur wenige Bauwerke aus der englischen Zeit. Zudem wird der Zeitraum von der Stadt meist nur kurz thematisiert und nicht weiter hervorgehoben. Dafür ist die Dokumentation im Musée d’Aquitaine umso umfangreicher.
Es entsteht der Eindruck einer gewissen Indifferenz: Die prominente Position des goldenen Löwen auf dem Stadtwappen, aber auch die gleichzeitige mangelnde Thematisierung der englischen Zeit deuten darauf hin, dass die besagte Periode durchaus als Teil der Stadtgeschichte hingenommen wird, aber weder mit starken positiven oder negativen Gefühlen verbunden ist. Die englische Geschichte erhält also keine Sonderstellung in der Stadtgeschichte. Befragungen von Stadtbewohner*innen und Funktionsträger*innen bieten eine Möglichkeit für tiefergehende Erforschung der Fragestellung.
Quellen:
https://www.france24.com/en/20200609-world-s-largest-digital-arts-centre-opens-in-bordeaux-submarine-base(28.10.2022)
https://www.bordeaux.fr/p7034/bordeaux-industriel (7.11.2022)
https://www.bordeaux.fr/p80990/histoire-patrimoine-et-architecture (26.10.2022)
https://www.bordeaux-tourism.co.uk (26.10.2022)
https://www.u-bordeaux.fr/universite/nous-decouvrir/notre-histoire (26.10.2022)
Encyclopedia Britannica. Bordeaux. https://www.britannica.com/place/Bordeaux (27.10.2022)
Hubert, F. et al. (2018): Bordeaux au XVIIIe Siècle. Le Commerce Atlantique et l’esclavage. Bordeaux: Le Festin.
Jullian, C. (1895): Histoire de Bordeaux. Depuis les Origins Jusqu’en 1895.
Abbildungen:
Abbildung 1: Eigene Aufnahme
Abbildung 2: https://en.wikipedia.org/wiki/Bordeaux#/media/File:Hugo_d’Alesi,_vue_cavalière_de_Bordeaux,_1899,_Archives_de_Bordeaux_métropole.jpg (9.11.2022)
Abbildung 3: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b2/Coat_of_arms_of_Bordeaux%2C_France.svg (9.11.2022)