01: Zuständigkeiten und Rechte im Französischen Zentralismus

Bordeaux und Arcachon im „Dèpartement Gironde“, in der Region „Nouvelle-Aquitiane“

Anders als in Deutschland ist das Schulsystem in Frankreich zentral organisiert: Das staatliche Ministerium regelt Abschlussprüfungen, Lehrpläne und alles weitere, was das Bildungswesen betrifft, bis ins kleinste Detail. Der Grund für diese Organisation ist die in Frankreich vorherrschende politisch-administrative Ordnung des Zentralismus‘.

Der Zentralismus kann verschieden definiert werden:

„Z. bezeichnet 1) eine Politische Ordnung, die auf eine zentrale staatliche Instanz ausgerichtet ist, d. h., alle Machtbefugnisse sind an (auch geografisch gesehen) einem Ort bzw. bei einer Person konzentriert (z.B. Absolutismus),

2) eine politische Organisation (Partei, Verband/Verbände, Bewegung), die von einer (alles) dominierenden Zentrale ausgeführt wird (z. B. die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED)) und

3) Bestrebungen, alle politischen:Kompetenzen auf der obersten staatlichen Ebene zu konzentrieren – (Bundeszentrale für politische Bildung, kein Datum).“

„Zentralismus ist ein staatsorganisatorisches Leitprinzip, das in Frankreich in nahezu einem Jahrtausend gewachsen ist und bis heute über alle verschiedenen Staats- und Regierungsformen hinweg kontinuierlich praktiziert wurde. Es wird durch dieses Leitprinzip permanent das Ziel angestrebt, von einer einzigen Entscheidungszentrale (einem festen Punkt im Raum) das als unteilbar definierte Territorium und alle damit verbundenen gesellschaftlichen Bereiche maximal zu durchdringen.“ – (Brücher, 1992, S. 13)

Der Zentralismus ist also nicht nur im Bildungswesen tief verankert, sondern prägt auch die Politik, die Wirtschaft und die Infrastruktur und damit auch die Gesellschaft.

Diese räumlichen Ausprägungen lassen sich auch in Bordeaux wiederfinden: Der Zentralstaat bestimmt zum Beispiel die Stadtpolitik dadurch mit, dass die Bodenrechte und auch Nutzungen vorgegeben werden. So werden im Rahmen des Projektes Euratlantique vor allem Flächen an Unternehmen vergeben, die im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien stehen. Die zentralstaatlichen Vorgaben im Projekt Euratlantique kommen unter anderem daher, dass dieses eine Opération d’Intérêt National ist.

Brüchers Aussage zeigt aber auch, dass der Zentralismus in Frankreich historisch gewachsen ist. Das Leitprinzip des Zentralismus wurde unter dem Einfluss und nach dem Vorbild des römischen Reiches geformt. Die katholische Kirche hat diese Traditionen in Frankreich schließlich fortgeführt, wodurch vor allem das mittelalterliche Frankreich vom Zentralismus geprägt wurde. Der Zentralstaat war das wichtigste Instrumentarium, um die französische Nation zu bilden (vgl. Auphan & Brücher, 2022a). Der Colbertismus, der im absolutistischen Staat vorherrschte, spiegelt sich auch in den beiden Wellen der Verstaatlichung (Aupahn & Brücher, 2022b). Während der französischen Revolution verstärkte sich der Zentralismus durch den „egalité-Gedanken“ und in der Moderne konnte der Zentralismus dann durch moderne Kommunikationsmittel weiter ausgebaut werden. Ab den 1980er Jahren hat dann ein neuer Prozess eingesetzt: Die Dezentralisierung. Der Grund dafür war, dass das ökonomische und soziale Gefälle zwischen dem Zentrum in Paris und dem restlichen Land verringert werden sollte. Der Grundgedanke entspringt der französischen Revolution, in welcher die Départements geschaffen worden sind, um den Bürgern mehr Mitsprache zu ermöglichen (vgl. Brücher, 1992, S. 185,191). Das erste große Dezentralisierungsgesetz wurde 1871 erlassen, aber erst in den 1960er bis 80er Jahren wurde die Dezentralisierung weiter vorangetrieben. 1965 wurden die Regionen durch die Zusammenfassung mehrerer Departements festgelegt. 1982 wurde die Dezentralisierung weiter gesetzlich geregelt, indem die Zuteilung von Kompetenzen an die Regionen, Departements und Kommunen festgeschrieben wurde (vgl. Brücher, 1992, S. 185,191).

Im Stadtteil Mériadeck zeigen sich die einzelnen Einheiten dieses Verwaltungsapparates in den Gebäuden: Hier finden sich die Präfektur und der Regionalrat der Region Nouvellle – Aquitaine, der Departementsrat der Gironde und der Geschäftssitz der Bordeaux Métropole. Für welche Kompetenzen die einzelnen Gebietskörperschaften verantwortlich sind, wird im öffentlichen Raum oft sichtbar gemacht. So prägt etwa das Logo der Region Nouvelle – Aquitaine die Stadtbusse und die Züge, aber auch die von der Region betriebenen schulischen Einrichtungen sind entsprechend gekennzeichnet.

In Meriadeck sind die Verwaltungen der Gebietskörperschaften konzentriert (Google Maps).

Mit der Einführung der Verwaltungseinheiten wurde die Autonomie auf lokaler Ebene gestärkt, allerdings lässt sich noch nicht von einer Tendenz zum Föderalismus sprechen. Das liegt daran, dass den Gebietskörperschaften nur die Verwaltung zustehe, Legislative und Judikative aber weiterhin zentral geregelt sind. De facto wurde durch die Dezentralisierungspolitik kein wirklicher Autonomiegewinn erreicht, sondern die Zentralmacht gestärkt. Durch die Abgabe von Verwaltungsaufgaben an niedrigere Ebenen konnte die Zentralmacht entlastet und die Handlungsfähigkeit erhöht werden (vgl. Brücher, 1992, S. 195f.).

Territoriale Grundlagen

Um die Exkursionsstandorte Bordeaux und Arcachon in diesem System des Zentralstaates einordnen zu können, muss auch auf die territorialen Grundlagen und die Zuständigkeiten eingegangen werden. Auf der untersten Ebene sind die Gemeinden (communes). Zu den Aufgaben der Gemeinden zählen der Bau und die Instandhaltung von Kindergärten, der Schulbusverkehr oder auch die Hausmüllentsorgung (vgl. Crevel & Wagner, 2003, S. 63ff.), (vgl. Schmude, 2017, S. 15ff.).

Die nächst höhere Ebene ist der Kanton, der sich aus mehreren Gemeinden zusammensetzt. Mehrere Kantone ergeben ein Arrondissement. Beide haben keine politische Bedeutung: Kantone sind ausschließlich Wahlbezirke für das Departements-Parlament, das Arrondissement hat hauptsächlich die Aufgabe der Urkundenausstellung.

Mehrere Arrondissements bilden ein Departement, welches immer einen Hauptort und eine dazugehörige Präfektur hat. Verantwortlich sind die Departements in Ergänzung zu den Regionen für soziale Fragen, den Bau und Unterhalt von weiterführenden Schulen, sowie den Unterhalt von Straßen im jeweiligen Departement. Jedes Departement hat eine eigene Nummer, die auch auf den französischen KFZ-Kennzeichen zu sehen sind (vgl. Crevel & Wagner, 2003, S. 63ff.), (vgl. Schmude, 2017, S. 15ff.).

Die höchste französische Verwaltungseinheit ist die Region. Hier hat der Regionalrat die Zuständigkeit, wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche, kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung zu fördern. Dazu gehört die Entwicklung regionaler Raumordnungspläne in Abstimmung mit dem Staat, der Ausbau des regionalen Schienennetzes, die Koordination der Unternehmensförderung, Investitionen im Gesundheitsbereich, Finanzierung von Gymnasien und die Betreuung regionaler Museen und Archive (vgl. Crevel & Wagner, 2003, S. 63ff.), (vgl. Schmude, 2017, S. 15ff.).

Die Lycees werden von der Region unterhalten (eigene Aufnahme).

Viele Kompetenzen sind über mehrere Ebenen verteilt und es mangelt an entsprechender Koordinierung unter den Verwaltungseinheiten. Die Folge sind geringe Effizienz, bürokratische Probleme und unzureichende Verantwortung der lokalen Akteure. Zur besseren Koordination entwickelt der Staat sogenannte Planverträge. Aber auch die Interkommunalität soll dabei helfen zum Beispiel bürokratische Probleme zu mindern. Die Zusammenarbeit zwischen Kommunen erfolgt, um Einrichtungen oder öffentliche Dienstleistungen gemeinsam zu verwalten. Die Kooperation wird in öffentlichen Einrichtungen für interkommunale Zusammenarbeit (EPCI) durchgeführt (vgl. République Française, 2021).

Eine dieser Einrichtungen ist die Bordeaux Métropole, welche innerhalb ihres geographischen Umkreises in den von den Gemeinden übertragenen oder gesetzlich festgelegten Zuständigkeitsbereichen tätig ist. Von der Métropole werden alltägliche Einrichtungen, die das Lebensumfeld der Bewohner verbessern, verwaltet und auch Großprojekte wie zum Beispiel die Straßenbahn, die Entwicklung der Kais oder auch Bastide Niel umgesetzt (vgl. Bordeaux Métropole, 2022).

Literaturverzeichnis

Aupahn, E., & Brücher, W. (2022b). Historische Wechselwirkungen zwischen Zentralismus, Verkehr und Wirtschaft. Abgerufen am 29. Juni 2022 von DeuFraMat: http://www.deuframat.de/regionen/politische-struktur-zentralismus-dezentralisierung/frankreich-auf-dem-weg-vom-zentralismus-zur-dezentralisierung/historische-wechselwirkungen-zwischen-zentralismus-verkehr-und-wirtschaft.html

Auphan, E., & Brücher, W. (2022a). Zentralismus als staatsorganisatorisches Leitprinzip. Abgerufen am 29. Juni 2022 von DeuFraMat: http://www.deuframat.de/regionen/politische-struktur-zentralismus-dezentralisierung/frankreich-auf-dem-weg-vom-zentralismus-zur-dezentralisierung/zentralismus-als-staatsorganisatorisches-leitprinzip.html

Bordeaux Métropole. (2022). Compétences de Bordeaux Métropole. Abgerufen am 18. Oktober 2022 von Bordeaux Métropole: https://www.bordeaux-metropole.fr/Metropole/Organisation-administrative/Competences-de-Bordeaux-Metropole

Brücher, W. (1992). Zentralismus und Raum: Das Beispiel Frankreich. Stuttgart: Teubner.

Bundeszentrale für politische Bildung. (kein Datum). Zentralismus. Abgerufen am 28. Juni 2022 von Bundeszentrale für Politische Bildung: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/18499/zentralismus/

Crevel, P., & Wagner, N. (2003). Dezentralisierung in Frankreich – ein großes Vorhaben der Regierung Raffarin. (58-78, Hrsg.) KAS-Auslandsinformationen(10).

République Française. (5. Januar 2021). La coopération intercommunale et les EPCI. Abgerufen am 18. Oktober 2022 von République Française: https://www.vie-publique.fr/fiches/20118-la-cooperation-intercommunale-et-les-epci

Schmude, J. (2017). Frankreich. Darmstadt: WBG.

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