06: Kampf um Stadt? – Gentrifizierung in Bordeaux

Der Begriff „Gentrifizierung“ bezeichnet im Allgemeinen die Aufwertung eines bestimmten Gebiets bzw. eines Viertels in einer Stadt (Eckart 2018, S.27). Sie äußert sich in verschiedenen Dimensionen, darunter der baulichen, sozialen, funktionalen und symbolischen Aufwertung des Raumes (ebd.). Am Anfang steht meist ein Stadtteil, in dem die Infrastruktur und Gebäude für längere Zeit nicht ausgebaut/erneuert wurden und der z.B. von Studenten und Kreativen – den „Pionieren“ – zunehmend als günstiger Wohnraum genutzt wird (ebd.). Als nächster Schritt wird das Viertel durch private Investoren, die eine Chance zur Wertsteigerung sehen, oder wie im Falle von Bordeaux hauptsächlich durch öffentliche/staatliche Investitionen und Planungen, aufgewertet. Die Gentrifizierung kann jedoch auch „spontan“ geschehen, wenn die ursprünglichen „Pioniere“ mit der Zeit besser verdienen und so ein Bedarf an mehr Wohnfläche und hochwertigerem Wohnraum entsteht (ebd., S. 29). In beiden Fällen stellen die Prozesse eine Gefahr für die bisherigen Einwohner des Viertels dar, da durch die Aufwertung des Wohnraums die Mieten signifikant ansteigen, was dazu führt, dass sich Einkommensschwächere dort keinen Wohnraum mehr leisten können, also zum Umzug gezwungen werden, was wiederum diesen einkommensschwachen Teil der Bevölkerung lediglich „verdrängt“ und in andere Stadtteile verlagert (Kronauer 2019). Die Gentrifizierung beschreibt demnach den Austausch der bisherigen Bewohner des Viertels durch eine finanziell privilegiertere Bevölkerungsgruppe (Eckart 2018, S. 26).

„Bordeaux 2030“ ist der Name des dritten Großprogramms der Stadtplanung. Es fasst alle Projekte zusammen, deren Fertigstellung für den Zeitraum 2015 bis 2030 geplant ist. Unterschieden wird zwischen Großprojekten (Infrastruktur wie z.B. Brücken oder ÖPNV) und Entwicklungszonen (Gebiete, für die grundlegende Erneuerungen geplant sind) (Bordeaux 2022d; Bordeaux 2022e). Diese sind auf die verschiedene Viertel der Stadt verteilt, wovon drei im Folgenden näher betrachtet werden (Verortungen auf Karte siehe Abb. 1).

Abb.1: Karte der Innenstadt von Bordeaux (Quelle: Google Maps)

La Bastide ist ein älteres Industrie- bzw. Arbeiterviertel, das als Teil des umfassenden Stadtumbaus seit Anfang der 2000er Jahre kontinuierlich erneuert wird (Abb. 2; Punkt 1 in Abb. 1) (Bordeaux 2022c).

Abb. 2: Neuere Wohngebäude in La Bastide nahe dem Ufer der Garonne (Quelle: eigene Aufnahme)

Hier angesiedelte Projekträume sind unter anderem „Brazza“ (Wohnraum am Ufer der Garonne) und „La Benauge“ (Modernisierung des Viertels, einschließlich des Wohnraums, der Natur und Infrastruktur) (Bordeaux 2022b; Bordeaux 2022c).

Bassins á flot ist das alte Hafengebiet der Stadt, das seit 2010 renoviert und modernisiert wird (Bordeaux Métropole 2022b). Eine Fläche von 700.000m2 wird neugestaltet (ebd.). Hier sollen unter anderem 5.500 neue Wohneinheiten auf etwa 440.000m2 sowie Büroflächen, Industrie und Geschäfte entstehen und die vorhandene Infrastruktur ausgebaut werden (Abb. 3; Punkt 2 in Abb. 1) (ebd.).

Abb. 3: Laufende Bauprojekte in Bassins á flot (Quelle: eigene Aufnahme)

Entwicklungen in Bassins á flot haben zudem bedeutende Auswirkungen auf die Wohnungspreise der anliegenden Viertel, vor allem die Mieten in Chartrons (Punkt 3 in Abb. 1) und Bacalan (Punkt 4 in Abb. 1) steigen durch die Aufwertungsprozesse an (Le Monde 2013).

Saint Michel (Punkt 5 in Abb. 1) ist eines der Viertel, in denen die Gentrifizierung durch verschiedene Merkmale deutlich sichtbar ist. Die Veränderungen, welche dort in den letzten Jahrzehnten stattfanden, sind das Resultat eines Stadterneuerungsprojekts und spontanen Investitionen/Aufwertungen. Das Viertel liegt zentral am alten Stadthafen sowie in der Nähe des Bahnhofs Saint Jean gelegen und weist Anbindungen zu anderen Viertel auf. Saint Michel hat eine hohe symbolische und funktionelle Bedeutung für Bordeaux. Früher lebten hier hauptsächlich Handwerker und Händler, deren Alltag auf verschiedene Weise mit dem maritimen Handel zu tun hatte. Das Viertel wuchs bis zum Jahr 1950, danach wurde es von der Stadt vernachlässigt und wirtschaftlich benachteiligt, was starken baulichem Verfall der Wohn- und Nutzgebäude zur Folge hatte. Dies führte dazu, dass viele Einwohner aus Saint Michel „flohen“ und sich im suburbanen Raum der Stadt ansiedelten. Ein weiteres Merkmal des Viertels ist dessen Prägung durch Einwanderung. Zunächst kamen viele Spanier und Portugiesen, später Nordafrikaner und ab den 1980er Jahren auch Westafrikaner. Die Einwohner mit spanischen und portugiesischen sind heutzutage wieder fast verschwunden. Der Ausländeranteil des Viertels ist sehr hoch, er liegt bei etwa 18%, während der städtische Schnitt bei 7% bis 8% liegt. Die vielfältige ethnische Ökonomie zeigt die starke Präsenz der französischen Einwanderungsgesellschaft in Saint Michel (Abb. 4).

Abb. 4: Zwei Halal-Metzgereien am Place des Capucins in Saint Michel (Quelle: eigene Aufnahme)

Ab 1980 war Saint Michel wieder ein etablierter Teil der Stadtplanung und seit 2010 rückte es unter dem Gesichtspunkt der Neugestaltung des öffentlichen Raums stärker in den Fokus. Insgesamt ist das Viertel durch die Erneuerungen als Wohnort attraktiver geworden. Der Quadratmeterpreis spiegelt diese Entwicklung wider, im Zeitraum von 2006 bis 2019 ist er mehr als 200% gestiegen. Die Ziele der Stadt für das Viertel sind ambitioniert: Die Mittel- und Oberschicht sollen als Bewohner zurückgewonnen werden (Abb. 5) und bereits dort lebende Menschen sollen wieder besser wirtschaftlich eingegliedert werden (2016 waren 60% der Bewohner nicht steuerpflichtig).

Abb. 5: Moderne Geschäfte/Restaurants als Merkmale der Gentrifizierung (Quelle: eigene Aufnahme)

Der soziale Zusammenhalt innerhalb des Viertels soll besser werden und die Lebensbedingungen sollen aufgewertet werden. Zudem sollen „republikanische und bürgerliche Werte“ wieder eingeführt werden. Diese Veränderungen stoßen aber nicht bei allen Bewohnern auf positive Resonanz (Abb. 6).

Abb. 6: Protest der Einwohner gegen die Gentrifizierung in Saint Michel (Quelle: eigene Aufnahme)

Zusätzlich zu Veränderungen in den einzelnen Vierteln gibt es Projekte, die größere Räume in der Stadt betreffen, Euratlantique ist das größte Entwicklungsprojekt im Stadtgebiet von Bordeaux (Abb. 7).

Abb. 7: Laufende Bauprojekte im Euratlantique-Gebiet (Quelle: eigene Aufnahme)

Es wurde 2010 vom Etablissement public d´aménagement (EPA), einem staatlichen Planungsinstitut, ins Leben gerufen und ist eine L´Opération d’Intérêt National (OIN), also eine Operation von nationalem Interesse, welche erhöhte Priorität genießt (Bordeaux Euratlantique 2022b). Ziele der Erneuerungen im Projektgebiet sind die Schaffungen von nachhaltigem und erschwinglichem Wohnraum sowie von u.a. öffentlichen Einrichtungen, Büroflächen, aber auch Grünflächen und neuen Fußgänger- und Fahrradwegen (Bordeaux Euratlantique 2022a; Bordeaux 2022a). Es erstreckt sich auf 738 Hektar, in denen 15.000m2 zusätzliche Wohnfläche entstehen sollen (Bordeaux 2021). Der Preis pro m2 beträgt maximal 3800€ und 35% der neu gebauten Wohnungen sind Sozialwohnungen (Bordeaux Euratlantique 2022a). Zudem sind grundlegende Erneuerungen der Infrastruktur geplant, welche den geplanten Einwohner-Zuwachs stützen soll (Bordeaux 2022a). Entgegen offizieller Pläne wird erwartet, dass die Gentrifizierung im Euratlantique-Gebiet durch die Erneuerungen eher beschleunigt als verlangsamt wird.

Quellen

Bordeaux (2021): Repenser la politique de l’habitat et de l’urbanisme. https://www.bordeaux.fr/p146757/habitat-et-urbanisme (Stand: 06.07.2022)

Bordeaux (2022a): Bordeaux Euratlantique. https://www.bordeaux.fr/p47389/bordeau-euratlantique (Stand: 06.07.2022)

Bordeaux (2022b): Projet de renouvellement urbain Benauge Joliot-Curie. https://www.bordeaux.fr/ebx/pgPresStand8.psml?_nfpb=true&_pageLabel=pgPresStand8&classofcontent=presentationStandard&id=135043. (Stand: 07.07.2022)

Bordeaux (2022c): Brazza. https://www.bordeaux-metropole.fr/Grands-projets/Projets-d-amenagements/Projets-urbains/Brazza (Stand: 07.07.2022)

Bordeaux (2022d): Les grands projets. https://www.bordeaux.fr/ebx/pgPresStand8.psml?_nfpb=true&_pageLabel=pgPresStand8&classofcontent=presentationStandard&id=46994 (Stand: 07.07.2022)

Bordeaux (2022e): Les opérations d’aménagement. https://www.bordeaux.fr/ebx/pgPresStand8.psml?_nfpb=true&_pageLabel=pgPresStand8&classofcontent=presentationStandard&id=147033 (Stand 07.07.2022)

Bordeaux Euratlantique (2022a): Les besoins en logement. https://www.bordeaux-euratlantique.fr/orientations/politique-de-logement (Stand: 06.07.2022)

Bordeaux Euratlantique (2022b): L’Opération d’Intérêt National (OIN). https://www.bordeaux-euratlantique.fr/comprendre-1/operation-bordeaux-euratlantique
(Stand: 06.07.2022)

Bordeaux Métropole (2022a): Renouvellement urbain des quartiers. https://www.bordeaux-metropole.fr/Grands-projets/Projets-d-amenagements/Renouvellement-urbain-des-quartiers (Stand: 07.07.2022)

Bordeaux Métropole (2022b): Bassins à flot. https://www.bordeaux-metropole.fr/Grands-projets/Projets-d-amenagements/Projets-urbains/Bassins-a-flot (Stand: 07.07.2022)

Eckardt, F. (2018): Gentrifizierung in Deutschland. In: Gentrifizierung. essentials. (pp. 25-29). Springer VS, Wiesbaden

Kronauer, M. (2018): Gentrifizierung: Ursachen, Formen und Folgen. In: Wohnen, 128.

Le Monde (2013): A Bordeaux, la rénovation du quartier des Bassins à flot va faire grimper les prix. https://www.lemonde.fr/economie/article/2013/05/18/a-bordeaux-la-renovation-du-quartier-des-bassins-a-flot-va-faire-grimper-les-prix_3316829_3234.html (Stand: 07.07.2022)

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