Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Pilsen

Die Stadt Pilsen (tschechisch: Plzeň), wie wir sie heutzutage kennen, wurde im 13. Jahrhundert unter Auftrag des Königs Wenzel II. als ‚Neu-Pilsen‘ gegründet. ‚Neu-Pilsen‘ deshalb, weil im 10. Jahrhundert – circa 11 km südlich – schon die Stadt ‚Alt-Pilsen‘ (tschechisch: Starý Plzenec) entstanden ist[1]. Gelegen an der ‚Via Carolina‘ war Pilsen ein bedeutendes Handelszentrum im Mittelalter entlang der Ost/West Achse Nürnberg-Prag.

Die ältesten Spuren jüdischen Lebens in Pilsen lassen sich auf das 14. Jahrhundert Datieren. Ein Dekret Karls‘ IV. aus dem Jahr 1338 welches den Bürgern Pilsens befahl: Verprügeln der in der Stadt wohnhaften Juden vermeiden und jeden, der gegen diesen Befehl verstößt streng bestrafen.“ dient als ältester schriftlicher Nachweis einer jüdischen Gemeinde in der Region. [2] Anfang des 16. Jahrhunderts allerdings, also schon knappe 200 Jahre später, erteilte der damalige Herrscher König Ladislaus der Stadt Pilsen ein Privileg welches den Bürgern freistellte die Juden der Stadt zu vertreiben.

Innenraum der „kleinen“ Synagoge von 1859

Genau hieß es in diesem Privileg: [] Und wir erteilen auch den Bürgern hierbei die Gnade, dass keine Juden weder jetzt noch künftighin weder wir noch die künftigen Könige von Böhmen in diese Stadt einführen können, denn die Juden wurden ihnen zur Stadt gegeben zu ihrem Nutzen von unseren Vorfahren, darum geben wir durch diese Schrift und vermöge unserer königl. Macht in Böhmen dieser Stadt und ihren Einwohnern die Macht dazu, dass sie die Juden aus der Stadt ausweisen können, wenn immer es ihnen gut erscheine […]”. [3] Aus diesem Privileg resultierte die erste große Vertreibung der in Pilsen lebenden Juden, die gegen Mitte des 16. Jahrhunderts mit der vollständigen Vertreibung der jüdischen Gemeinde endete. Dies bedeutete das Ende der mittelalterlichen jüdischen Besiedlung der Stadt.

Pilsen um 1860

Erst mit dem Zeitalter der Aufklärung, also gegen Ende des 18. Jahrhunderts, imigrierten jüdische Familien wieder nach Pilsen. Antisemitismus war vor allem unter der ansässigen deutschen Bevölkerung im 19. Jahrhundert salonfähig, und gipfelte in einem, durch einen Silberdiebstahl ausgelöstem, Anti-jüdischem-Pogrom Mitte der 1860er Jahre. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs allerdings auch der Anteil der jüdischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung Pilsen auf etwa 6% an. 1857 schließlich wird am zentral gelegenen Stephansplatz, ein wenig versteckt in einem Hinterhof, der Grundstein für eine Synagoge gelegt, welche nach zweijähriger Bauzeit fertiggestellt wird. Da diese Synagoge lediglich Platz für etwa 250 Menschen bot, wurde schon bald eine ‚Hilfssynagoge‘ in direkter Nähe errichtet. Dieser Komplex diente der jüdischen Gemeinde, bis 1893 die große Synagoge fertiggestellt wurde. Die große Synagoge (die 3. größte Synagoge der Welt) belegt einen prominenten Platz, gelegen an der Sady Pětatřicátníků (zu Deutsch: „Straße der 35er“, nach dem 35. Regiment der K und K Armee benannt) unmittelbar gegenüber des Pilsner Stadtkerns. Diese prominente Lage und die schiere Größe der Synagoge spiegeln den Reichtum und das Selbstbewusstsein der jüdischen Gemeinde zu dieser Zeit wieder.

Originalpläne von Max Fleischer (links) und überarbeitete Pläne von Emanuel Klotz(rechts)

Die ursprünglichen Pläne des Architekten Max Fleischer wurden nicht umgesetzt, vor allem auf Grund von Protesten der christlichen Gemeinde der Stadt. Diese meinte, unter anderem, dass die Synagoge ein zu gewaltiges Aussehen verglichen mit der St.Bartholmäus Kathedrale (Katedrála svatého Bartoloměje) auf dem Pilsner Hauptplatz habe. Der Architekt Emanuel Klotz wurde daraufhin mit der Überarbeitung der Pläne beauftragt. Er behielt den Grundriss der Konstruktion bei, und veränderte vorrangig die Außengestaltung. Der Bau enthält nun Element der Neorenaissance, ist aber größten Teils im maurisch-romanischen Stil fertiggestellt worden. Obwohl die Synagoge offiziell renoviert ist, gibt es noch einige nicht vollendete beziehungsweise nicht fixierte Stellen. Hier sind beispielsweise große Teile der Decke und damit auch die Deckengemälde beschädigt und nur provisorisch repariert. Der innere Hauptbereich der Synagoge war ursprünglich nur als Platz für Männer vorgesehen, im Nachhinein wurden die Balkone im oberen Bereich angelegt damit auch die Frauen der Gemeinde an Gottesdiensten teilnehmen konnten. Diese Balkone wurden jedoch erst später konstruiert. Die Anwesenheit Gottes im Raum soll durch das abgedunkelte Licht an der Bima dargestellt werden. Während der Besetzung Tschechiens durch Nazi-Deutschland, blieb die Synagoge erhalten, weil sie von den Besetzern als Lagerraum genutzt wurde.

Da die jüdische Gemeinde in Pilsen leider nur noch sehr klein ist, wird die Synagoge heutzutage nicht mehr für Gottesdienste genutzt, lediglich ein kleines Séparée im hinteren Bereich der Synagoge ist dafür vorgesehen. Der letzte reguläre Gottesdienst fand im Jahr 1973 statt. Heutzutage ist sie ein beliebter Ort unter Musikern, da die gute Akustik der Synagoge sie zu einem ausgezeichneten Konzertsaal werden lässt. Auch Besuche und Besichtigungen werden angeboten, allerdings lassen die Besucherzahlen zu Wünschen übrig.

Im 20. Jahrhundert, genauer gesagt in den 1930er Jahren, kam es aufgrund des Münchner Abkommens zu einer ansteigenden Migration von deutschen Juden nach Böhmen und Mähren und somit auch nach Pilsen. Mit dem vollständigen Anschluß dieser Gebiete an das Deutsche Reich 1939 (als Reichsprotektorat Böhmen und Mähren), kam es abermals zu einer Vertreibung beziehungsweise Verschleppung der jüdischen Bevölkerung. Vor allem in die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz. 1941 war die jüdische Gemeinde der Stadt erneut vollständig aufgelöst. Heute liegen sowohl vor der kleinen, als auch vor der großen Synagoge Steine mit den Namen der in der Besatzungszeit verschleppten Juden als Denkmal.

Die Zahl der Rückkehrer nach dem Ende des Krieges hielt sich allerdings in Grenzen, da viele jüdische Familien in Richtung USA oder in den neugegründeten Staat Israel auswanderten.[4] Die jüdische Gemeinde Pilsen zählt heute daher nur etwa 70 Personen. Vor allem fehlt es in der Gemeinde an Nachwuchs. Heute sind die große und die alte Synagoge renoviert beziehungsweise befinden sie sich im Prozess der Renovierung. Allerdings stellt sich die Frage, wer diese Gebäude weiterhin nutzen soll, ehe sie dem Zahn der Zeit wieder verfallen.

Autoren: Nazli Süleymanoglu, Raphael Sandor

[1] Daniel Bechný, Historie a současnost podnikání na Plzeňsku. Městské knihy, Žehušice 2002

[2] www.juedische-gemeinden.de

[3] www.juedische-gemeinden.de

[4] www.juedische-gemeinden.de

 

Schreibe einen Kommentar