Bayern und Tschechien verbindet ein gemeinsamer Anteil von 357 der insgesamt 811 Kilometer langen deutsch-tschechischen Grenze, der zwischen „Böhmerwald“ und Oberpfälzer sowie Bayerischem Wald verläuft. Für München, Nürnberg und Regensburg ist Prag die nächstgelegene europäische Hauptstadt. Geschichtlich, kulturell, politisch und wirtschaftlich bestehen Beziehungen vielfältigster Art. Gemeinsame Prägungen und Wurzeln reichen in der Geschichte weit zurück. Ein markantes Beispiel ist die Ära des römisch-deutschen Kaisers und Königs von Böhmen, Karl IV. (1316-1378), der die Länder beiderseits und speziell die Städte Nürnberg und Prag gemeinsam förderte. Die Beziehung der Nachbarn ist durch eine „Schicksalsgemeinschaft“ (Necas) und gegenseitig zugefügte Traumata insbesondere aus dem 20. Jahrhundert geprägt. Wie andere ostmitteleuropäische Staaten litt das zwischen Russland und Deutschland „eingeklemmte“ Tschechien als Spielball gegensätzlicher machtpolitischer Interessen unter Fremdherrschaft, Krieg und Wechseln in der strategisch-politischen Ausrichtung.
Ein für die tschechisch-bayerischen Beziehungen eminent wichtiges Thema ist die Geschichte der sudetendeutschen Bevölkerung und ihrer Gebiete. Hitler und die Sudetendeutsche Partei stimmten darin überein, dass das 3. Reich das „Sudetenland“ annektiert und die „Rest-Tschechei zerschlägt“, was sich Hitler 1938 im Münchner Abkommen absichern ließ. Die Folge waren Massenvertreibungen, Deportationen und der Tod von ungefähr 350.000 Staatsbürgern, davon circa 270.000 Juden. So feiert die jüdische Gemeinde in der drittgrößten Synagoge der Welt in Pilsen heute lediglich in einem kleinen Nebenraum Gottesdienst. Die teilweise bis heute umstrittenen Beneš-Dekrete von 1945 hielten den Anspruch auf territoriale und politische Integrität der Tschechoslowakei aufrecht, wurden zugleich aber zur Begründung für Vertreibung und Enteignung der sudetendeutschen und ungarischen Minderheiten 1945/46 benutzt.
Von der Ostsee bis zur Adria trennte zu Zeiten des Warschauer Pakts für vier Jahrzehnte der „Eiserne Vorhang“ Länder und unterband kulturellen und wirtschaftlichen Austausch. Das CSU-geführte Bayern machte sich die Anliegen der vertriebenen Sudetendeutschen („Bayerns vierter Stamm“) zu eigen und beharrte auf einer Aufhebung der Beneš-Dekrete und Besitz- sowie Rückkehr-Ansprüchen der Vertriebenen. Anknüpfend an den „deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag“ 1992 und die „deutsch-tschechische Erklärung“ 1997, die erste wichtige Grundlagen auch für das bayerisch-tschechische Verhältnis setzten, führen Horst Seehofer und Petr Necas Bayern und die Tschechische Republik aus Sprachlosigkeit und Vorurteilen heraus auf einen Weg der Annäherung und Versöhnung. Ein Meilenstein ist 2010 der erste offizielle Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten in Prag; Seehofers Gedenken der Holocaustopfer in Theresienstadt ist eine wichtige Geste. Auch Petr Necas „mutige Rede“ 2013 im bayerischen Landtag ist Ausdruck der Annäherung.
In wirtschaftlicher Hinsicht sind die Nachbarn sehr unterschiedliche Partner, wie sich in Bruttoinlandsprodukt und Lohngefälle zeigt. Bayern ist für Tschechien der zweitwichtigste Handelspartner weltweit. Auf beiden Seiten haben jedoch die Grenzregionen (Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern sowie Kraje Karlsbad, Pilsen, Südböhmen) mit Problemen wie mangelnder Zuwanderung, Alterung, Arbeitskräftemangel und unzureichender Mobilitätbereitschaft zu kämpfen. Wie Radio Prag zeigt, ist Mehrsprachigkeit zumal im Grenzgebiet ein bedeutendes Thema.
Trotz struktureller Unterschiede, rechtlicher und bürokratischer Hindernisse und Sprachbarrieren gibt es zunehmend grenzüberschreitende Partnerschaften und Kooperationen wie die bayerisch-tschechische Landesausstellung in Nürnberg und Prag um Karl IV. (2016), das Tagungsprojekt „Geschichte des bayerisch-tschechischen Grenzraums, 1945 – 2008“ der Universitäten Regensburg und Pilsen und die zweisprachige historische Online-Datenbank „Portafontium“.
Kulturelles Engagement leistet das „Centrum Bavaria Bohemia“ in Schönsee. Förderung der regionalen Entwicklung über Staatsgrenzen hinweg geschieht in der „Euregio Egrensis“ und der „Euregio Bayerischer Wald – Böhmerwald – Unterer Inn“. 120 Partnerschaften der Städte und Gemeinden, Universitäten und Schulen intensivieren nachbarschaftliche Beziehungen. Für Bayreuth ist „Prag 6“ seit 2008 Partnerstadt. 2014 wurde die „Repräsentanz des Freistaats Bayern in der Tschechischen Republik“ eröffnet. Sie dient als „Schaufenster Bayerns“, Plattform für Begegnungen und grenzübergreifende Vermittlungsstelle zwischen Institutionen. Trotz emotionaler Barrieren verändert sich die gegenseitige Wahrnehmung zum Positiven. Vor allem für die jüngere Generation scheint Versöhnung kein Problem darzustellen. Mit Engagement auf beiden Seiten wird der Weg in eine gemeinsame bayerisch-tschechische Zukunft gelingen.
Autorin: Inke Geyer