Große kommerzielle Immobilienprojekte auf dem Anschutz-Gelände

Das Anschutz-Areal dürfte im Moment eines der interessantesten und spannendsten Stadtquartiere Berlins sein. Bis Anfang der 2000er Jahre war das im südlichen Friedrichshain, direkt an der Spree, zur Grenze zu Kreuzberg, gelegene Gelände noch eine innerstädtische Brachfläche des ehemaligen Ostgüterbahnhofs. Die Anschutz Entertainment Group erwarb das Quartier im Jahr 2001 und investierte in den darauffolgenden Jahren hohe Summen zur infrastrukturellen Erschließung des Gebiets. Die Eröffnung der damaligen O₂ World Arena und der Zuzug der Mercedes-Benz Vertriebszentrale waren weitere Grundsteine für die Entwicklung des Quartiers, welche sich von da an in dieser Richtung fortsetzte.

Die Aufgabe unserer Gruppe war es, die größten, kommerziellen Immobilienprojekte des Anschutz-Geländes genauer zu betrachten und dabei einen besonderen Fokus auf die Geschichte und Zukunft des ehemaligen Galeria Kaufhofgebäudes und den Einfluss von Techno-Clubs auf das Areal zu legen. In einem Rundgang durch das gesamte Quartier wurden die sechs wichtigsten Immobilienprojekte, beginnend mit dem Meininger Hotel und endend mit den Luxusapartments Living Levels, im Folgenden dargestellt, intensiver begutachtet (siehe Abbildung 1; durch die pinkfarbene Route dargestellt).

Abbildung 1: Karte des untersuchten Gebiets

Tabelle 1: Legende der Karten

Abgelaufener Weg Rosafarbende Linie
Sektor
Immaterielle Produktion
Verkauf / Vertrieb
Service
Wohnen
Befindet sich derzeit im Bau Gestrichelte Linie
Arbeitsform
Arbeit als Teil eines Kollektiv / Teams ōōō
Uniforme Arbeitskleidung ø
Emotionen als wichtigster Bestandteil
Hoher Grad an Technisierung @
Klare Hierarchien =
Untypische Arbeitszeiten ¿
  1.  Meininger Hotel

Das Meininger Hotel East Side Gallery eröffnete erst im Dezember 2017 und bietet nun, nach eigener Aussage, eine moderne, komfortable und erschwingliche Unterkunft in der Nähe des Ostbahnhofes und der ehemaligen Berliner Mauer. Derzeit ist bereits ein Gebäudekomplex mit elf Stockwerken in Betrieb, direkt daneben befindet sich allerdings ein fast ebenso großer Anbau im Rohbau. Auch im Bereich um dieses Hotel nimmt man viele Gebäude wahr, welche derzeit renoviert oder neu gebaut werden. Hierbei werden viele dieser neuen Gebäudekomplexe als Miet- und Eigentumswohnungen in der höheren Preiskategorie beworben. Insgesamt erkennt man schon in diesem Bereich einen Wandel in der baulichen Struktur und somit zwangsläufig auch einen zukünftigen Austausch der dort lebenden Menschen sowie eine sich wandelnde Lebensweise.

  1. Ehemaliger Galeria Kaufhof

Hinter dem Ostbahnhof befindet sich die zweite Station, das ehemalige Gebäude des Galeria Kaufhof, welcher im Juni 2017 geschlossen wurde. Gebaut wurde das Gebäude, laut einer Anwohnerin, im Jahr 1976 und enthielt seitdem verschiedenste Einkaufs- und Dienstleistungsangebote. Vor der Schließung im vergangenen Jahr nahm den Großteil des Gebäudes beispielsweise der Galeria Kaufhof ein, aber es gab auch noch andere Nutzungen, wie eine Apotheke, mehrere Ärzte oder ein Bowling Center. Laut einer Anwohnerin begannen direkt nach der Schließung des Kaufhauses die Umbauarbeiten. Zur Zeit unserer Besichtigung konnten leider keine Arbeiten ausgemacht werden, sondern das gesamte Gelände sah eher verlassen und verkommen aus.

Allerdings besteht bereits fest, dass das Gebäude renoviert und umgebaut werden soll und schließlich Luxuswohnungen, Büros, Restaurants und andere Dienstleister hier angesiedelt werden sollen. Etwa 75 Prozent des Gebäudes wird Zalando zur Erweiterung seiner Bürogebäude nutzen. Zwei befragte Anwohnerinnen merken an, dass der Baulärm sehr störend ist und befürchten, dass sich der Verkehr noch weiter verstärken wird. Ebenfalls wird angemerkt, dass es durch die vielen Bauprojekte in diesem Bereich immer weniger Parkplätze gibt. Zudem schließen Discounter und werden durch höherpreisige Einkaufsmöglichkeiten ersetzt werden. Die Anwohnerinnen befürchten, dass sie verdrängt werden könnten. In der Umgebung des ehemaligen Galeria Kaufhof erkennt man viele Mehrfamilienwohnungen, die teilweise alt aussehen und den Eindruck eines weniger gepflegten Zustands machen, was darauf schließen lässt, dass hier hauptsächlich eine Bevölkerung mit einem eher geringen Einkommen wohnt. Diese könnte zukünftig durch die teureren Wohnungen und auch das Projekt für den alten Galeria Kaufhof verdrängt werden. Ein Widerstand durch die befragten Anwohnerinnen wird hier nicht deutlich, lediglich eine Verärgerung und der Wunsch nach alten Zeiten.

Abbildung 2: Ehemaliges Galeria Kaufhaus (Quelle: Tobias Hofacker)

Abbildung 3: Ehemaliges Galeria Kaufhaus (Quelle: Tobias Hofacker)

  1. Berghain

Geht man weiter durch das bereits angesprochene Wohngebiet, kommt man an weiteren Baustellen, unter anderem auch für eine Schule, und einigen Einkaufsmöglichkeiten, wie einem SB-Möbel-Geschäft, vorbei, welches abermals auf die eher über ein geringes Einkommen verfügende Bewohnerschaft schließen lässt. Schließlich erreicht man einen der bekanntesten Technoclubs der Welt, das Berghain. Schon das Gebäude, was laut einem Anwohner ein ehemaliges Staatsgebäude aus DDR-Zeiten ist, wirkt sehr imposant. Seit den späten 1990er Jahren befindet sich der Club, welcher aus dem Technoclub Ostgut, inzwischen ein Technolabel, entstanden ist, in diesem Gebäude.

In dieser Zeit ist die Technikszene aufgekommen und vor allem das Untersuchungsgebiet hat eine Arena für Clubs dieser Art und auch die Schwulenszene geboten. In den 1990er Jahren gab es, laut einem Anwohner, viel Leerstand, welchen die Technoszene sich aneignet hat. So gab es beispielsweise eine spontane Aneignung eines Gebäudes, wo heutzutage ein Baumarkt vorzufinden ist, durch das Ostgut. In dem Gebiet lebten zu dieser Zeit vor allem ältere Menschen und junge Zugezogene mit einem geringen Einkommen, da die Wohnungen einen sehr geringen Lebensstandard aufwiesen und heruntergekommen, aber günstig waren. So konnte sich auch die Techno-Szene ansiedeln.

Noch heute gibt es viele dieser Clubs in dem Areal. Allerdings hat sich die Szene weiter in den Norden verlagert und wird, laut einem Anwohner, zunehmend touristischer, vor allen das Berghain. Zudem verdrängen neue Bewohner, wie Familien, die Technoszene. Seit einigen Jahren entsteht aufgrund der Lautstärke des Basses des Berghains ein Druck auf die Technoszene. Ein Anwohner ist der Meinung, dass sich die Techno-Szene nicht mehr lange in dem Gebiet halten kann, gerade auch wegen einem deutlich gewordenen Konflikt um den Konsum von Drogen in der Szene, welcher vor wenigen Jahren nicht öffentlich präsent war. Außerdem findet inzwischen eine Aufwertung des Gebiets statt, was unter anderem an immer mehr PKW und einem steigenden Quadratmeterpreis von mehr als 10 Euro deutlich wird. Dies kann auch im Zusammenhang mit den zu einem späteren Zeitpunkt der Route betrachteten Immobilienprojekten, wie Zalando und Living Levels, zusammenhängen. Ein Anwohner, der schon seit über 20 Jahren in der Umgebung wohnt und die Anfänge der Technoszene miterlebt hat, befürchtet, dass diese steigenden Mieten zu einem Leerstand in den nun teureren Gebäuden führen.

Abbildung 4: Karte des Teilgebiets

  1. Zalando Headquarter

Auf der anderen Seite der Bahngleise zeigt sich ein völlig anderes Bild im Gegensatz zu der Wohngegend, die seit Jahren von den Technoclubs dominiert wird. Das Mediaspree Areal ist eines der größten Investorenprojekte Berlins, was auch auf den ersten Blick deutlich sichtbar wird. Das neue Zalando Headquarter zeigt eindrucksvoll, wie schnell sich ein Berliner Start-Up Unternehmen zu einem der größten Arbeitgeber der Region entwickelt hat. Die rund 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Zalando, die aktuell noch auf mehrere Standorte verteilt sind, sollen durch den neuen Zalando Campus räumlich näher zusammengebracht werden. Im Herbst 2018 sollen die Bauarbeiten bereits abgeschlossen sein. Der Standort in Kreuzberg-Friedrichshain wurde ganz bewusst gewählt, da sich dort sehr viele junge Arbeitskräfte befinden, die somit kurze Wege zum Arbeitsplatz haben. Die zwei siebenstöckigen Bürogebäude die aktuell gebaut werden, sollen etwa 42.000 Quadratmeter Fläche und eine offene Glasfassade besitzen, womit sie auch optisch zu den auffälligsten Gebäuden im gesamten Quartier werden (vgl. Paul 2018). Die bereits vorhandenen Gebäude des Zalando Campus wirken dagegen eher klassisch aber zugleich auch modern. Leider waren keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr anwesend, die an einem Interview hätten teilnehmen können. Die Lage des Campus in einem der begehrtesten Gebiete Berlins zeigt jedoch die beeindruckende Entwicklung von Zalando und die weitere Ausrichtung für die Zukunft. 

  1. Mercedes-Benz World

In Mitten des Zalando Campus befindet sich ein weiteres, imposantes Areal, die Mercedes-Benz World. Diese trennt den neuen Zalando Campus von den bereits bestehenden Bürogebäuden ab. Direkt vor der Mercedes-Benz Arena (ehemalige O₂-World) soll hier das neue Entertainmentviertel Berlins entstehen. Von der Anschutz Entertainment Group ins Leben gerufen, soll hier bis Ende 2018 für ungefähr 200 Millionen Euro das Herzstück des gesamten Quartiers entstehen. Im Bau befinden sich eine neue Veranstaltungshalle für bis zu 4.500 Besucher, ein Premierenkino, ein Lifestyle Bowling Konzept, mehrere Cafés, Restaurants und Bars, ein Indigo Design Hotel, ein Hilton Hotel und insgesamt 10.000 Quadratmeter Büroflächen. Während unseres Aufenthaltes war jedoch noch keines der geplanten Gebäude fertiggestellt, sodass wir uns lediglich das Ausmaß der Mercedes-Benz World vorstellen konnten. In mitten der Baustelle soll in Kürze der Mercedes-Benz-Platz entstehen, der mit etwa 50 Meter Breite ein Drittel der Grundstücksfläche einnehmen und ein offenes Fenster von der Mercedes-Benz Arena bis zur Mühlenstraße und dem Spreeufer darstellen soll. Der Platz soll zu den neuen Cafés, Bars und Restaurants einladen, gelegentlich für Außenveranstaltungen genutzt werden und dem ganzen Quartier Leben einhauchen. Der Mercedes-Benz-Platz, in mitten des Areals gelegen, soll alle wichtigen Achsen und Bereiche miteinander verbinden und zum Zentrum des Gebietes werden. Hierfür ist außerdem eine Verbesserung der öffentlichen Verkehrsmittel und der allgemeinen Anbindung des Quartiers geplant (vgl. Flatau 2017). Die Mercedes-Benz World soll ein abwechslungsreiches Entertainmentzentrum im Gegensatz zu den vorhandenen Hotels und Bürokomplexen darstellen und ist durch seine zentrale Lage begünstigt diesem Ruf auch gerecht zu werden.

  1. Living Levels

Das wohl beeindruckendste und zugleich auch fragwürdigste Projekt auf dem Anschutz-Gelände dürfte das Wohngebäude Living Levels darstellen. Das 14 geschossige Gebäude besitzt auf 8.700 Quadratmetern die luxuriösesten und angesagtesten Apartments der Gegend und zusätzlich ein eigenes Café im Erdgeschoss, sowie eine Lobby und eine Tiefgarage für die Bewohnerinnen und Bewohner. Logischerweise sind die Kosten auch dementsprechend, sodass die teuerste Wohneinheit auf bis zu 15.000 Euro pro Quadratmeter beziffert wird. Wer sich diese Wohnungen jedoch leisten kann, genießt dafür einen direkten Ausblick auf die Spree und die Skyline Berlins.

Abbildung 5: Living Levels (Quelle: Tobias Hofacker)

Aber gerade das sorgte für Schlagzeilen und Entsetzen bei der Bevölkerung. Das Luxusgebäude wurde nämlich bis auf 10 Meter an das Ufer der Spree gebaut und befindet sich direkt hinter der Berliner Mauer. Logischerweise gab es viele Widerstandsbewegungen und auch Bürgerinitiativen, die sich gegen das Wohnprojekt einsetzten. Die Bürgerinitiative „Mediaspree versenken“ forderte mindestens 50 Meter Abstand zum Spreeufer für sämtliche Neubauten, sowie die Einhaltung der allgemeinen Berliner Traufhöhe von 22 Metern, jedoch ohne Erfolg. Trotz eines Bürgerentscheids im Jahr 2008, welcher mit 87 Prozent die Vorschläge der Bürgerinitiative befürwortete, was das bis dato erfolgreichste Bürgerbegehren Berlins war, wurden die Planungen durchgeführt. Das größte Übel war jedoch die Öffnung der Berliner Mauer, um eine Zufahrt zum Wohngebäude zu schaffen. Damit wurde ein Loch in das größte zusammenhängende Mauerstück, die East Side Gallery, gerissen und eines der bekanntesten Denkmäler der deutschen Geschichte beschädigt (vgl. Felgendreher 2015). An diesem Beispiel ist zu sehen, welche Macht und Bedeutung die Interessen privater Unternehmen und Investoren im Vergleich zur betroffenen Bevölkerung und dem geschichtlichen Hintergrund einer ganzen Nation haben. So beeindruckend das Gebäude optisch auch sein mag, umso beeindruckender ist die Rücksichtslosigkeit die bei der Durchsetzung des Projekts gezeigt wurde. Neben dem Living Levels wird aktuell noch ein Luxushotel geplant, das sich ebenfalls direkt am Spreeufer befinden soll.

Abbildung 6: Living Levels direkt am Spreeufer (Quelle: Anna-Lena Enskat)

Abbildung 7: Unterbrechung der Mauer für Living Levels (Quelle: Anna-Lena Enskat)

Quellen:

Felgendreher, D. (2015): „Auf der Suche nach Freiheit. Über Living Levels in Berlin“. In: BauNetz. URL: https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-ueber_Living_Levels_in_Berlin_4589123.html (Aufrufdatum: 13.06.2018).

Flatau, S. (2017): „So sieht das Viertel rund um den Mercedes-Platz aus.“ In: Berliner Morgenpost. URL: https://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article212329603/Zuwachs-am-Mercedes-Platz.html (Aufrufdatum: 13.06.2018).
Paul, U. (2018): „Neue Zalando-Zentrale. Viel mehr als nur ein Bürohaus“. In: Berliner Zeitung. URL: https://www.berliner-zeitung.de/berlin/neue-zalando-zentrale-viel-mehr-als-nur-ein-buerohaus-29517682# (Aufrufdatum: 13.06.2018).

 

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