Das Untersuchungsgebiet in Berlin-Kreuzberg rund um die Muskauer Straße, Oranienstraße und Adalbertstraße (siehe Abbildung 1) befindet sich derzeit in einer Phase starken Umbruchs und der Veränderung. Das hippe, angesagte Viertel, welches sich durch seine kulturelle, gesellschaftliche, kulinarische und infrastrukturelle Vielfalt auszeichnet, rückt immer mehr in den Fokus von Verdrängungs-, Aufwertung- und Gentrifizierungsprozessen. In diesem Bericht werden nun besonders kreativwirtschaftliche Arbeitsorte im Bereich Social Entrepreneurship und Co-working in Kreuzberg zum einen in Bezug auf ihr Tätigkeitsfeld, aber auch in Relation zu den Veränderungen im Stadtteil genauer betrachtet. Zur Verdeutlichung wurden in der Abbildung 1 die fünf im Fokus stehenden Spaces (Nummerierung 1 bis 5) als immaterielle
Abbildung 1: Plan des Untersuchungsgebiets mit Kartierungen (eigene Bearbeitung nach Geoportal Berlin 2018).
Produktion blau markiert und beschriftet. Des Weiteren wurden die Betriebe, die sich auf Service (gelb) und Verkauf/Vertrieb (rot) fokussieren, markiert, um den bestehenden Fokus im Viertel auf Serviceleistungen (vor allem Gastronomie), sowie Verkauf zu verdeutlichen. Insgesamt ist durch die Markierungen auch der Laufweg im Rahmen der Untersuchung nachvollziehbar. Die Flächen, die auf diesem Weg nicht farblich markiert wurden, setzen sich aus Wohnraum und Leerstand im Erdgeschoss zusammen.
Social Impact Lab Berlin
Bei einem der näher untersuchten kreativen Orte handelt es sich um das Social Impact Lab (1), welches sich in der Muskauer Straße 24 befindet und im Bereich der Gründungsunterstützung für sozial benachteiligte Personengruppen agiert. Vor Ort stellte sich einer der leitenden Mitarbeiter des Labs für eine kleine Führung durch die Räume zur Verfügung. Zudem konnte im Anschluss an den Rundgang ein weiterer Mitarbeiter (B) befragt werden. Alle Aussagen in den folgenden Abschnitten beziehen sich – mit Ausnahme der entsprechend gekennzeichneten Stellen – auf die Angaben des leitenden Mitarbeiters sowie auf die persönlichen Eindrücke der forschenden Personen während des Rundgangs. Gegebenenfalls werden einzelne Aussagen durch eine Internetrecherche ergänzt.
Das Social Impact Lab versteht sich selbst als Motor für eine neue und nachhaltig-orientierte Bewegung, welche sowohl selbst Veränderungen bewirkt, als auch all diejenigen unterstützen will, die mit innovativen Produkten, Dienstleistungen, Projekten und Ideen die Gesellschaft positiv weiter entwickeln wollen. Das Lab ist Teil der 1994 – zunächst unter dem Namen ‚iq consult‘ gegründeten – GmbH ‚Social Impact‘ und befindet sich seitdem in den Räumen ebendieser GmbH (vgl. Social Impact gGmbH 2018). Zentrale Punkte in den 90er Jahren waren die hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit, aber auch eine Reihe weiterer sozialer Themen, die – wie an den jährlichen Randalen am 1. Mai deutlich wurde – in einem hoch politisierten Umfeld verhandelt wurden. Aus den ursprünglich noch oft privat finanzierten Projekten hat sich über die Jahre eine Rolle auf Metaebene herausgebildet, die zunehmend in einer beratenden und unterstützenden Tätigkeit besteht, anstatt selbst Projekte umzusetzen. Das Lab in der Muskauer Straße – welches sich speziell auf die Förderung von Start-ups fokussiert hat – ist dabei nur eines von acht seit 2011 gegründeten Social Impact Labs in Deutschland (vgl. Social Impact gGmbH 2018), welche sich alle in unterschiedlichen Bereichen sozialer Innovation und Unternehmensförderung engagieren.
Auf über 280m², welche sich über zwei Stockwerke erstrecken, bietet das von uns besuchte Social Impact Lab Platz für Co-Working, diverse Events, Workshops und Seminare rund um die Themen Social Innovation & Entrepreneurship. Die untere Ebene beinhaltet einen großen Raum für Events (siehe Abbildung 2), in dem zum Beispiel Workshops für bis zu 60 Personen stattfinden. Dieser Raum ist flexibel veränderbar, schlicht und funktional. Zudem gibt es Telefonboxen, um ungestört berufliche Gespräche abwickeln zu können, Schließfächer und eine Küche mit offenem Essbereich, um auch den gemeinschaftlichen Aspekt nicht zu vernachlässigen. Weitere Seminarräume (ebenfalls Abbildung 2) und kleinere Büros verteilen sich über beide Stockwerke. Ein weiterer dringend notwendiger Raum für das Lab ist der Technikraum, in dem sich die Server befinden. Diesbezüglich ist das Thema Sicherheit und Haftung ein wichtiger Aspekt sowohl für die Betreiber als auch für die Mieter/ Mieterinnen. So kam es in der Vergangenheit zum Beispiel bereits zu Hackerangriffen auf Webseiten mit sensiblen Daten. In der Nähe der Treppe befindet sich die „wall of fame“, auf der 60 Berliner Start-Ups, die in den letzten Jahren betreut wurden, präsentiert werden. Dazu zählen unter anderem das bekannte Start-Up „Original unverpackt“ oder das Projekt „wefugees“.
Abbildung 2: Workshop-Raum im Social Impact Lab (links) und Seminarraum (rechts) (eigene Aufnahmen). |
Es werden generell keine Projekte ohne sozialen Bezug aufgenommen, aber sowohl standortübergreifende Projekte wie „Ankommer“ als auch örtlich fixierte Projekte durchgeführt. Ausgeschlossen bzgl. der eigenen Aufgaben ist auch die Ausbildung von Start-ups. Hierfür werden Unternehmen als Partner gesucht, jedoch haben viele große Firmen schon ihre eigenen Inkubatoren. Das bekannte Unternehmen SAP war sechs Jahre lang Partner des Social Impact Labs, legt jedoch nach einer Neuausrichtung der CSR (Corporate Social Responsibility) den Fokus verstärkt auf Schulen. Das Social Impact Lab hingegen bezieht sich auf Hauptthemen wie Essen, Flüchtlinge, Mobilität etc. Ein Thema der Workshops war beispielsweise „Weltwassertag“. Teilnehmer dieser Workshops sind die Start-Ups selbst, die über Social Media oder die Website den Kontakt suchen. Eine Produktgruppe, die durch das Lab entstanden ist, nennt sich „conflict food“, d.h. sie unterstützen Länder, die nicht an den internationalen Absatzmarkt angebunden sind, meist aufgrund von Konflikten wie Krieg. Zugehörige Produkte sind Safran aus Afghanistan, aber auch Bio-Tee aus Myanmar und Bio-Freekeh aus Palästina. Mit dem Gewinn werden anschließend soziale Projekte unterstützt, beispielsweise Bildungsprogramme für Frauen (Mitarbeiter B).
Das Social Impact Lab finanziert sich größtenteils selbst durch unterschiedliche Workshops an Schulen und Weiterbildungen in Unternehmen, wodurch es marktorientiert ausgelegt ist. Zudem gibt es eine monatliche Gebühr für die Nutzung eines Schreibtischs inklusive Drucker etc., die 180€ beträgt. Dafür steht den Mietern/ Mieterinnen ihr persönlicher Arbeitsplatz zur Verfügung, den sie auch zeitlich flexibel nutzen können. Die Mietvertragszeit ist dabei nicht streng geregelt, sie beträgt jedoch mindestens 3 Monate. Die meisten Mieter/ Mieterinnen bleiben langfristig über einige Jahre. Anhand der Mieteinnahmen werden jedoch nur die vom Social Impact Lab zu zahlenden Miet- und Reinigungskosten ausgeglichen, es wird also kein Gewinn erzielt.
Wie den Gesprächen entnommen werden konnte, soll die Miete im folgenden Jahr von aktuellen 8€ Nettokaltmiete pro m² auf 22€ angehoben werden. Somit stünde dem Lab im kommenden Jahr wohl ein Auszug aus den bisherigen Räumen bevor. Derzeit ist noch kein neues Mietobjekt in Aussicht. Von den Betreibern wird jedoch gehofft wieder einen zentral in Berlin gelegenen Ort zu finden. Diese enorme Mietpreissteigerung stellt also ein großes Problem für das Fortbestehen des Labs und des integrierten Coworking-Spaces dar und ist gleichsam ein klares Indiz für die Gentrifizierung, die sich in ganz Kreuzberg vollzieht. So wurde von Mitarbeiter B angemerkt, dass Kreuzberg „generell einfach schicker“ geworden sei. Dies mache sich u.a. dadurch bemerkbar, dass es neue Bioläden und Hotels, aber auch generell mehr Bars, Cafés und Läden im höherpreisigen Segment gibt.
Die öffentliche Infrastruktur und Nachbarschaft befindet sich also im Wandel, was von vielen Anwohnern/ Anwohnerinnen stark kritisiert wird. Das Social Impact Lab ist jedoch laut Mitarbeiter B nicht von dieser Kritik betroffen. Es wird von den Bewohnern/ Bewohnerinnen als fester Bestandteil der Nachbarschaft wahrgenommen und ist akzeptiert, zumal es schon lange existiert und darüber hinaus auch einen sozialen Nutzen aufweist.
Modern Graphics
Ein weiterer Akteur in Kreuzberg ist der bekannte Comic-Laden Modern Graphics (5) in der Oranienstraße, dessen Betreiber laut eigenen Angaben bereits viel Erfahrung mit Gentrifizierungsprozessen und dagegen gerichteten Protesten gemacht hat. So ist es im Viertel üblich, dass ein Mal pro Woche gegen den Verkauf von Wohngebäuden zu Spekulationszwecken protestiert wird, da immer mehr Einzelhandel und Gastronomie dem Druck der Investoren und Mieterhöhungen nicht mehr standhalten können. Immer mehr Betriebe müssen schließen. Im November 2017 schließlich setzten über 80 Gewerbetreibende in der Oranienstraße ein Zeichen: Indem sie ihre Geschäfte verdunkelten, sollte aufgezeigt werden, was passieren würde, wenn es die Läden vor Ort nicht mehr geben würde. Im ganzen Viertel lassen sich an den Hauswänden und in den Schaufenstern immer wieder Protestsprüche, -plakate und Banner finden, die sich deutlich gegen die Aufwertung aussprechen (siehe Abbildungen 3 und 4).
Abbildung 3 und 4: Protestsprüche an Häusern in Kreuzberg (eigene Aufnahmen). |
Auch wenn der Laden „Modern Graphics“ selbst noch nicht von erhöhten Mieten betroffen ist, so kam es in der Umgebung jedoch schon zu einer Verdreifachung der Mieten, wodurch das Umfeld zunehmend zerstört und immer mehr auf Tourismus gesetzt wird. Auch wird angemerkt, dass die Gastronomie vor Ort früher vielfältiger war. Eine betroffene Einrichtung war der Veranstaltungsort S036 in der Oranienstraße, welcher unter dem Vorwand der Lärmbelastung verdrängt werden sollte.
Dies konnte jedoch durch Proteste und hohes Engagement gegen Gentrifizierungsprozesse verhindert werden. Insgesamt stellt sich aber die Frage, was an die Stelle der altansässigen Gewerbe-Unternehmen treten wird. Für den Fall, dass diese durch Lofts im hochpreisigen Segment ersetzt werden, wird dies laut dem Modern-Graphics-Mitarbeiter als zusätzlich kritisch betrachtet.
Zu den Coworking-Spaces in der Umgebung hat Modern Graphics eher wenig Kontakt, dem Betreiber ist jedoch nichts Negatives bekannt.
Co-Up, Kottiworx & Blogfabrik
Im Falle des Coworking-Spaces Co-Up (2) in der Adalbertstraße 8 ist anzumerken, dass dieser inzwischen nicht mehr als solcher genutzt wird, sondern eine Art Hacker-Space beherbergt. Generell strahlte dieser jedoch mehr eine Wohnungs- anstatt Büro-Atmosphäre aus und war auch als ebensolche eingerichtet. Wie den Aussagen der einzigen anzutreffenden Person (einer Bekannten der aktuellen Mieter) zu entnehmen war, könnte für diesen Wandel die Übernahme durch eine andere Firma verantwortlich sein. Inwiefern dies weiter in Zusammenhang mit Gentrifizierungsprozessen steht, wäre zu untersuchen. Weitere Angaben zum Tätigkeitsfeld oder den Mietverhältnissen konnte die angetroffene Person jedoch leider nicht geben.
Bezüglich der Coworking-Spaces Kottiworx (3) und Blogfabrik (4) können keine detaillierten Aussagen hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse oder genauen Raumnutzung getätigt werden, da vor Ort niemand anzutreffen war. Lediglich bei Blogfabrik ermöglichte eine gläserne Eingangstür einen ersten, oberflächlichen Eindruck der Räumlichkeiten. Augenscheinlich werden diese weniger als offener Coworking-Space genutzt, sondern mehr als Event- oder Ausstellungslocation. Diese Vermutung lässt sich durch die Homepage von Blogfabrik bestätigen. So bietet die Kreativ-Agentur laut eigenen Aussagen neben Platz für einen Coworking-Bereich auch anmietbaren Raum für Events, Workshops und Konferenzen (vgl. Blogfabrik GmbH & Co. KG 2018). Bei Kottiworx handelt es sich ebenfalls um einen Coworking-Space, der sowohl kurzfristig einen anmietbaren Raum für Events zur Verfügung stellt, als auch insgesamt acht Tische im Großraumbüro monatsweise für 150€ pro Person vermietet (Kottiworx 2018). Im Netz lassen sich immer wieder Angebote bezüglich freier Arbeitsplätze finden (dasauge 2018). Das eher kleine Büro befindet sich direkt am Kottbusser Tor im 1. Stock, ist durch einen Außenflur erreichbar und macht zumindest auf der Homepage einen hellen Eindruck mit angenehmer Arbeitsatmosphäre.
Quellen
- Blogfabrik GmbH & Co. KG (2018): Space. URL: https://blogfabrik.de/space/ (Aufgerufen am 19.06.2018).
- Dasauge (2018): Profile – Kottiworx. URL: https://dasauge.de/-kottiworx-1/ (Aufgerufen am 20.06.2018).
- Kottiworx (2018): Main. URL: http://www.kottiworx.net/KOTTIWORX-V10_SEITEN/KOTTIWORX_01.0-MAIN.html (Aufgerufen am 20.06.2018).
- Social Impact gGmbH (2018): Unternehmen. URL: https://socialimpact.eu/unternehmen (Aufgerufen am 18.06.2018).